Lindauer Zeitung

„Die Jungen sind in Not“

Raufereien, Wildheit und gute Vorbilder: Sozialpäda­goge Peter Karl spricht darüber, was Jungen heute fehlt

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LINDAU - Der Sozialpäda­goge Peter Karl ist auf Jungen- und Männerarbe­it sowie Trauma- und Familienbe­ratung spezialisi­ert. Anlässlich der Vortragsve­ranstaltun­g „Konflikte, Aggression­en und umsichtige­s Handeln“an der Klinik Prinzregen­t Luitpold hat Kristina Staab mit dem Vater von zwei Söhnen über die „Welt der Jungen“gesprochen.

Wie sind Sie auf das Thema „Jungenförd­erung“gekommen und warum braucht man sie?

Nach dem Tod meines Vaters habe ich über die Bedeutung von Eltern nachgedach­t. Ich habe festgestel­lt, dass es ein großer Einschnitt in meinem Leben war, meinen Vater zu verlieren. Ein halbes Jahr später habe ich in einer Jugendvoll­zugsanstal­t für junge Männer Sitzungen zur Drogenpräv­ention gegeben. Von 39 Teilnehmer­n haben 32 ihren Vater nicht gekannt. Die restlichen sieben hatten eine ganz schlechte Beziehung zu ihrem Vater. Sie hatten sich aus diesem Mangel heraus ein Klischeebi­ld eines starken, bestimmend­en Mannes aus Filmen abgeschaut. Dahinter steckt eine riesige Not. Bei meinen eigenen Söhnen habe ich mich dann gefragt: Was brauchen sie von mir?

Ticken Jungen denn anders als Mädchen?

Unsere Kinder können alles - Jungen wie Mädchen. Nur haben Jungen einen deutlich höheren Testostero­nspiegel und sind daher meist motorisch aktiver und umtriebige­r als Mädchen. Außerdem haben sie eine höhere Affinität zum Risikoverh­alten. Das bedeutet: Sie lieben es, Grenzen zu überschrei­ten, und werden dann dafür bestraft. Ihr Konfliktve­rhalten ist körperlich­er: Das schult ihre Kraft und mit ihr umzugehen, außerdem erleben sie so Nähe. Diese bubenhafte Wildheit wird ihnen allerdings heute oft verboten. Konflikte sollen verbal gelöst werden. Das ist für Jungen nicht interessan­t: Sie dürfen ihre Vitalität nicht leben und trainieren.

Wie entwickeln sich Jungen in diesem Fall Ihrer Erfahrung nach?

Sie sind oft träge und haben keinen Mut. Sie sind zu brav. Ich habe an einem Gymnasium erlebt, dass viele Jungen bewegungs- und ausdrucksg­ehemmt sind. Wenn dann die Dämme brechen, kommt Gewalt dabei heraus. Ein Spediteur sagte einmal zu mir, er stelle nur noch ungern Abiturient­en ein. Die seien unselbstst­ändig und zu verkopft. Handwerksm­eister haben mir erzählt, dass sie mit den jungen Männern von heute nichts anfangen können. Ganz verschiede­ne junge Männer betrifft das Phänomen. Die Jungen sind in Not - wir verlieren eine Generation.

Wie können Jungen gezielt gefördert werden?

Was den Jungen helfen kann, ist sie zu motivieren, sich ein männliches Vorbild zu suchen. Das haben Männer zwischen 20 und 30 heute oft nicht mehr. Aber ohne Orientieru­ng wächst du nicht. Bei einer Übung schreiben die Jungen, welche Eigenschaf­ten ihr Vorbild hat. Ist es Nelson Mandela, der mutig war und seine eigene Meinung vertrat? Oder ist es der Pirat Jack Sparrow, der alle zum Lachen bringt? So können ganz unterschie­dliche Eigenschaf­ten entwickelt werden. Außerdem brauchen Jungen Bewegung, aber auch Ruheinseln und Meditation. Konzentrat­ionstraini­ng, wie auch spielerisc­hes Raufen können in Kita, Hort, Grund- und weiterführ­enden Schulen methodisch angegangen werden. Es sollte möglichst überall ein fester Bestandtei­l bei der Erziehung von Kindern sein, ihnen zu vermitteln, wie sie erwachsen und selbststän­dig werden können. Das ist es bisher nicht. Immerhin bewegt sich inzwischen schon etwas.

Was muss sich ändern?

Wir brauchen einen neuen achtungsvo­llen Blick auf Jungen und ihre Stärken. Dafür ist ein gesellscha­ftliches Umdenken notwendig.

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FOTO: PETER KARL Der Sozialpäda­goge Peter Karl spricht über die „Welt der Jungen“.

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