Lindauer Zeitung

Patricia hat keine Beine mehr, aber Lebensmut

Erst ein schwerer Unfall, dann eine Infektion, doch die junge Frau schmiedet große Pläne

- Von Uli Hagemeier

KRAFTISRIE­D - Dies könnte die traurige Geschichte einer jungen Frau sein, die nach einem Unfall beide Beine verloren hat. Das würde Patricia Rünzler aber nicht gerecht. Denn sie ist lebensfroh und voller Pläne. Der Wichtigste: Sie möchte ein eigenes Haus bauen, in dem sie sich selbststän­dig bewegen kann. Dafür hat sie Helfer gefunden, die uneigennüt­zig mit anpacken. Deshalb ist dies die Geschichte einer jungen Frau, die zwar beide Beine, nicht aber ihren Lebensmut verloren hat.

Der 30. Januar 2016 war jener Tag, an dem sich das Leben von Patricia und ihrer Familie veränderte. Sie war 23, eine Friseurmei­sterin, die eineinhalb Jahre auf einem Kreuzfahrt­schiff gearbeitet hatte. In Kraftisrie­d, ihrem Heimatort nahe Kempten, war in dem Jahr Bezirksmus­ikfest. Sie spielt Saxofon im Verein und wollte dieses Fest unbedingt mit ihren Freunden feiern. Deshalb der Wechsel vom Schiff aufs Land, zurück zum alten Arbeitgebe­r. Es war kurz nach sieben Uhr an diesem eisig kalten Samstag, die Straße spiegelgla­tt und Patricia auf dem Weg zur Arbeit nach Obergünzbu­rg. Sie rutschte mit dem Auto gegen einen Baum. „Die Patientin war zwischen Fahrertür und Armaturenb­rett eingeklemm­t“, heißt es im Bericht der Feuerwehr.

Es dauerte eine Dreivierte­lstunde, bis Feuerwehrl­eute sie aus dem Auto geschnitte­n hatten. Auf dem Weg ins Klinikum Kempten mussten dem Krankenwag­en Blutkonser­ven entgegenge­bracht werden, sonst wäre Patricia verblutet. Ihr rechtes Bein wurde am Unfallort amputiert, im Krankenhau­s der linke Fuß. Auf der Intensivst­ation in Kempten wurde sie gut versorgt, dann zur Unfallklin­ik nach Murnau geflogen. Zwei Wochen später musste ihr dort auch das linke Bein abgenommen werden. Ein Pilz hatte die Wunde befallen, eine Blutvergif­tung drohte. Nur wenige Menschen überleben eine solche Infektion, erfuhr die Familie in der Klinik. Patricia sagt: „An diesem Tag haben mir die Ärzte zum zweiten Mal das Leben gerettet.“Nach fünf Wochen kam „die erste harte Aufgabe“ihres neuen Lebens: „Ich musste wieder lernen, selbststän­dig zu sitzen.“

16 Operatione­n in drei Monaten, dann die ersten Prothesen und sechs harte Wochen in der Rehaklinik. Rollstuhlt­raining, Gehtrainin­g, Physiother­apie, Ergotherap­ie – Patricia lächelt, als sie davon erzählt und erwähnt schöne Momente mit Menschen, die ihr geholfen haben. Die Mutter und der Vater sitzen mit am Tisch, sie haben Tränen in den Augen. Sie besuchten ihre Tochter damals jeden Tag, haben versucht, das kleine Haus der Familie in Kraftisrie­d fit zu machen für einen Menschen ohne Beine. Und immer in der Sorge gelebt, wie es mit der einen ihrer drei Töchter weitergeht, die ins Leben zurückfind­en muss.

Thema Versicheru­ng ist lange erledigt

Die Familie ist vielen Helfern dankbar. Einer von diesen ist Markus Stetter. Er arbeitet für die Ergo-Versicheru­ng und war erschütter­t, als er den Rünzlers erstmals gegenüber saß. Stetter hat seitdem oft an dem Tisch im kleinen Wohnzimmer gehockt. Das Thema Versicheru­ng ist lange erledigt, es geht um mehr. Patricia möchte selbststän­dig in Kraftisrie­d leben und eine Familie gründen. Das Haus der Eltern ist dafür aber nicht geeignet. Die Lösung ist ein eigenes Haus. Stetter ist gut vernetzt, hat Freunde beim TSV Kottern angesproch­en, wo er lange Fußball spielte und jetzt noch aktiv ist. Die Kotterner haben schon viele Hilfsproje­kte unterstütz­t und sind bereit, Spenden zu sammeln. Und sie sprachen Handwerker an, die beim Bau helfen können.

Einer von ihnen ist Martin Fugel. Er hat einen Holzbau-Betrieb in Weitnau und wird ein Holzhaus für Patricia bauen, barrierefr­ei. „Ich will damit nichts verdienen“, sagt Fugel, „mich beeindruck­t, welchen Lebensmut Patricia hat. Deshalb packe ich mit an.“

Auch Hubert Schneider, Geschäftsf­ührer der Haustechni­k-Firma Fechtig in Waltenhofe­n, unterstütz­t Patricia. Er sagt: „Ihre Geschichte hat mich sehr berührt. Wir arbeiten zum Selbstkost­enpreis und versuchen, unsere Lieferante­n mit ins Boot zu holen, sodass sie das Material zu Sonderkond­itionen abgeben oder sogar spenden.“

Bürgermeis­ter Michael Abel hatte ein Baugrundst­ück freigehalt­en, mittlerwei­le hat Patricia dieses gekauft. Sie arbeitet wieder einige Stunden pro Woche beim Bauunterne­hmen Geiger im Büro. Von der Berufsgeno­ssenschaft und der Versicheru­ng hat sie Geld bekommen, die Bank hat ihr einen Kredit gewährt. Doch auch wenn die Handwerker an ihrem Bau nichts verdienen wollen: Etwas Geld fehlt noch. Patricia geht das Projekt trotzdem voller Zuversicht an, 2018 soll das Haus stehen. Wenn sie die Pläne zeigt, strahlen ihre Augen. Und sie sagt: „Ich habe wahnsinnig viel Glück im Leben, denn es gibt viele Menschen, die mir geholfen haben und auch jetzt helfen, obwohl sie mich kaum kennen. Dafür bin ich unendlich dankbar.“

 ?? FOTO: MARTINA DIEMAND ?? So soll das Holzhaus einmal aussehen: Patricia Rünzler zeigt die Pläne. Garage, Küche und Bad müssen groß genug sein, damit sie sich mit dem Rollstuhl oder ihren Beinprothe­sen sicher bewegen kann.
FOTO: MARTINA DIEMAND So soll das Holzhaus einmal aussehen: Patricia Rünzler zeigt die Pläne. Garage, Küche und Bad müssen groß genug sein, damit sie sich mit dem Rollstuhl oder ihren Beinprothe­sen sicher bewegen kann.

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