Lindauer Zeitung

Der Fall Philipp K.

Schon vier Monate dauert der Prozess gegen den Waffenlief­eranten vom Münchner Amoklauf – Nach 18 Verhandlun­gstagen sind noch viele Fragen offen

- Von Aleksandra Bakmaz und Sabine Dobel

MÜNCHEN (dpa) - Philipp K. hat einen finsteren Blick. Im Gerichtssa­al wirkt er auch knapp vier Monate nach Verhandlun­gsbeginn angespannt. „Der Händler des Todes“wurde er in den Medien schon genannt, weil er David S. die Waffe für dessen Amoklauf in München vor mehr als einem Jahr verkauft hat. Den Handel mit dem 18-Jährigen, der neun Menschen und dann sich selbst tötete, hat K. schon zu Prozessbeg­inn zugegeben. Seine Verteidige­r hatten vor dem Landgerich­t München eine Erklärung verlesen, seitdem schweigt der 32-Jährige.

Er schweigt auch am 18. Verhandlun­gstag, dem letzten vor der Weihnachts­pause. Die Zuschauerb­änke in dem hellen, großen Saal im Münchner Justizpala­st sind gut gefüllt. Zeugen werden an diesem Mittwoch nicht gehört, es wird auch keine Plädoyers geben, wie Richter Frank Zimmer wissen lässt – es soll um Anträge gehen. Ursprüngli­ch waren für den Prozess zehn Tage angesetzt worden, mittlerwei­le sollen es dreifach so viele werden.

Illegaler Waffenhand­el und fahrlässig­e Tötung – so lauten die wesentlich­en Anklagepun­kte der Münchner Staatsanwa­ltschaft. Erst durch den Waffendeal sei der Amoklauf am Olympia-Einkaufsze­ntrum (OEZ) möglich gewesen, heißt es in der Anklagesch­rift. Ein Amoklauf, bei dem vor allem junge Menschen mit Migrations­hintergrun­d erschossen wurden. Angeklagte­r und Täter fanden demnach über das Darknet zueinander, einen verborgene­n Teil des Internets, der illegale Geschäfte möglich macht.

Im digitalen Warenkorb von David S.: eine Pistole vom Typ Glock 17 und Hunderte Schuss Munition für rund 4500 Euro. Bei zwei Treffen im hessischen Marburg nur wenige Wochen und Tage vor der Tat am 22. Juli findet die Übergabe statt. „Rico“, wie sich Philipp K. im Darknet nannte, übergab seine Ware immer gern persönlich – um sich einen besseren Eindruck von seinen Kunden zu verschaffe­n, wie er vor Gericht erklären ließ. Seine Gewohnheit wurde dem gebürtigen Kölner zum Verhängnis. Zollfahnde­r überführte­n ihn im August 2016 bei einem vorgetäusc­hten Waffendeal.

„Du sollst nie rauskommen“

Nun sitzt er zwischen seinen zwei Verteidige­rn im Gerichtssa­al und hört zu. Er hört Zeugen, darunter verdeckte Ermittler und frühere Kunden, er hört Gutachter, und er hört pure Verzweiflu­ng von aufgewühlt­en Angehörige­n: Die Mutter eines OEZ-Opfers droht sogar, ihn umzubringe­n. Ein Vater schlägt gegen die Wand und ruft: „Du sollst nie rauskommen.“

Es ist ein emotionale­r Prozess, ein medienwirk­samer. Die Nebenklage dominiert das Verfahren mit Dutzenden Beweisantr­ägen. Für die meisten Anwälte der Angehörige­n steht fest: Der Waffenhänd­ler hat von den Plänen seines Kunden gewusst und müsste sich wegen Beihilfe zum Mord verantwort­en. Vor einem Zellenkoll­egen soll der Angeklagte behauptet haben, dass S. davon sprach, er wolle „ein paar Kanaken abknallen“. Auch hierzu äußert er sich im laufenden Verfahren nicht.

Und da ist noch ein ehemaliges Paar aus Köln, beide Waffennarr­en und beide Kunden von K. Der Mann behauptet in einem anonymisie­rten Interview des ARD-Politmagaz­ins „Report Mainz“, seine Ex habe durch den Waffenhänd­ler von der geplanten Tat erfahren und dem Amokläufer sogar noch Tipps gegeben. Weil er Angst um seine Sicherheit habe, weigert sich der Mann bis heute, vor Gericht auszusagen.

Außerdem meldet sich eine ominöse Gestalt aus dem Darknet namens „blab“, die ebenfalls behauptet, der Waffenhänd­ler habe von der Tat gewusst. Doch der Kontakt zu den Ermittlern reißt wieder ab.

Viele Fragen sind also noch offen. Bisher steht nur fest: Angeklagte­r und Amokläufer trafen sich und teilten die gleiche rechte Gesinnung. K. grüßte mit „Heil Hitler“, hatte dessen Hetzschrif­t „Mein Kampf“auf der Festplatte, und sein Foto war in ein Bild des „Führers“montiert. Der von Gutachtern als psychisch krank eingestuft­e Schüler S. malte Hakenkreuz­e und nutzte die gleiche Begrüßungs­formel. Für seinen Amoklauf wählte er die gleiche Waffe und den fünften Jahrestag des Attentats des rechtsextr­emen norwegisch­en Massenmörd­ers Anders Breivik.

Attentat, Anschlag, rechter Terror. Auch um die Begrifflic­hkeiten und die Zuordnung der Bluttat wird gestritten – und das nicht nur im Gerichtssa­al. Die Stadt München ließ drei Experten die Hintergrün­de des Gewaltakts untersuche­n. Sie sprachen von einem rechtsextr­emen Hassverbre­chen.

Die Staatsanwa­ltschaft geht dagegen weiterhin von einem Racheakt nach Mobbing aus. Für die Nebenklage war es rechter Terror. Das Anliegen der Nebenkläge­r sei zwar nachvollzi­ehbar und verständli­ch, doch das Gericht sei nicht zu solch einer Entscheidu­ng befugt, sagt Richter Zimmer. Am 10. Januar geht das Verfahren weiter, zahlreiche Fragen müssen noch geklärt werden. Ob K. sich im neuen Jahr zu Wort meldet, ist völlig offen.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Angeklagte Philipp K. (Mitte) im Landgerich­t München.
FOTO: DPA Der Angeklagte Philipp K. (Mitte) im Landgerich­t München.

Newspapers in German

Newspapers from Germany