Der Fall Philipp K.
Schon vier Monate dauert der Prozess gegen den Waffenlieferanten vom Münchner Amoklauf – Nach 18 Verhandlungstagen sind noch viele Fragen offen
MÜNCHEN (dpa) - Philipp K. hat einen finsteren Blick. Im Gerichtssaal wirkt er auch knapp vier Monate nach Verhandlungsbeginn angespannt. „Der Händler des Todes“wurde er in den Medien schon genannt, weil er David S. die Waffe für dessen Amoklauf in München vor mehr als einem Jahr verkauft hat. Den Handel mit dem 18-Jährigen, der neun Menschen und dann sich selbst tötete, hat K. schon zu Prozessbeginn zugegeben. Seine Verteidiger hatten vor dem Landgericht München eine Erklärung verlesen, seitdem schweigt der 32-Jährige.
Er schweigt auch am 18. Verhandlungstag, dem letzten vor der Weihnachtspause. Die Zuschauerbänke in dem hellen, großen Saal im Münchner Justizpalast sind gut gefüllt. Zeugen werden an diesem Mittwoch nicht gehört, es wird auch keine Plädoyers geben, wie Richter Frank Zimmer wissen lässt – es soll um Anträge gehen. Ursprünglich waren für den Prozess zehn Tage angesetzt worden, mittlerweile sollen es dreifach so viele werden.
Illegaler Waffenhandel und fahrlässige Tötung – so lauten die wesentlichen Anklagepunkte der Münchner Staatsanwaltschaft. Erst durch den Waffendeal sei der Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) möglich gewesen, heißt es in der Anklageschrift. Ein Amoklauf, bei dem vor allem junge Menschen mit Migrationshintergrund erschossen wurden. Angeklagter und Täter fanden demnach über das Darknet zueinander, einen verborgenen Teil des Internets, der illegale Geschäfte möglich macht.
Im digitalen Warenkorb von David S.: eine Pistole vom Typ Glock 17 und Hunderte Schuss Munition für rund 4500 Euro. Bei zwei Treffen im hessischen Marburg nur wenige Wochen und Tage vor der Tat am 22. Juli findet die Übergabe statt. „Rico“, wie sich Philipp K. im Darknet nannte, übergab seine Ware immer gern persönlich – um sich einen besseren Eindruck von seinen Kunden zu verschaffen, wie er vor Gericht erklären ließ. Seine Gewohnheit wurde dem gebürtigen Kölner zum Verhängnis. Zollfahnder überführten ihn im August 2016 bei einem vorgetäuschten Waffendeal.
„Du sollst nie rauskommen“
Nun sitzt er zwischen seinen zwei Verteidigern im Gerichtssaal und hört zu. Er hört Zeugen, darunter verdeckte Ermittler und frühere Kunden, er hört Gutachter, und er hört pure Verzweiflung von aufgewühlten Angehörigen: Die Mutter eines OEZ-Opfers droht sogar, ihn umzubringen. Ein Vater schlägt gegen die Wand und ruft: „Du sollst nie rauskommen.“
Es ist ein emotionaler Prozess, ein medienwirksamer. Die Nebenklage dominiert das Verfahren mit Dutzenden Beweisanträgen. Für die meisten Anwälte der Angehörigen steht fest: Der Waffenhändler hat von den Plänen seines Kunden gewusst und müsste sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten. Vor einem Zellenkollegen soll der Angeklagte behauptet haben, dass S. davon sprach, er wolle „ein paar Kanaken abknallen“. Auch hierzu äußert er sich im laufenden Verfahren nicht.
Und da ist noch ein ehemaliges Paar aus Köln, beide Waffennarren und beide Kunden von K. Der Mann behauptet in einem anonymisierten Interview des ARD-Politmagazins „Report Mainz“, seine Ex habe durch den Waffenhändler von der geplanten Tat erfahren und dem Amokläufer sogar noch Tipps gegeben. Weil er Angst um seine Sicherheit habe, weigert sich der Mann bis heute, vor Gericht auszusagen.
Außerdem meldet sich eine ominöse Gestalt aus dem Darknet namens „blab“, die ebenfalls behauptet, der Waffenhändler habe von der Tat gewusst. Doch der Kontakt zu den Ermittlern reißt wieder ab.
Viele Fragen sind also noch offen. Bisher steht nur fest: Angeklagter und Amokläufer trafen sich und teilten die gleiche rechte Gesinnung. K. grüßte mit „Heil Hitler“, hatte dessen Hetzschrift „Mein Kampf“auf der Festplatte, und sein Foto war in ein Bild des „Führers“montiert. Der von Gutachtern als psychisch krank eingestufte Schüler S. malte Hakenkreuze und nutzte die gleiche Begrüßungsformel. Für seinen Amoklauf wählte er die gleiche Waffe und den fünften Jahrestag des Attentats des rechtsextremen norwegischen Massenmörders Anders Breivik.
Attentat, Anschlag, rechter Terror. Auch um die Begrifflichkeiten und die Zuordnung der Bluttat wird gestritten – und das nicht nur im Gerichtssaal. Die Stadt München ließ drei Experten die Hintergründe des Gewaltakts untersuchen. Sie sprachen von einem rechtsextremen Hassverbrechen.
Die Staatsanwaltschaft geht dagegen weiterhin von einem Racheakt nach Mobbing aus. Für die Nebenklage war es rechter Terror. Das Anliegen der Nebenkläger sei zwar nachvollziehbar und verständlich, doch das Gericht sei nicht zu solch einer Entscheidung befugt, sagt Richter Zimmer. Am 10. Januar geht das Verfahren weiter, zahlreiche Fragen müssen noch geklärt werden. Ob K. sich im neuen Jahr zu Wort meldet, ist völlig offen.