Im Paradies schwätzt man schwäbisch
E in Wirtshaus, das seit nunmehr 120 Jahren in einem Ort steht, ist nie einfach nur eine Gastronomie, wo es halt was zu essen und zu trinken gibt. Nein, solche ortsbildprägenden Häuser sind immer auch die Schatzkiste einer Stadt, in deren Innerem nichts weniger als ein Stück der Identität ihrer Bürger bewahrt wird. Insofern war die Wiederbelebung des Wirtshauses Paradies in Bad Saulgau durch Frank Selbherr im Jahr 2013 ein Akt der Rettung dieser Identität. Im Hier und Heute stellt sich die Traditionsgaststätte als eine gesunde Mischung aus altem Charme und rustikaler Moderne dar, in der sich der Gast aus dem Stand wohlfühlt.
Die Bedienungen haben einen schwäbischen Zungenschlag und versehen ihren Dienst mit verlässlichem Pflichtbewusstsein, was für ständige Präsenz sorgt.
Auch auf der Speisekarte spiegelt sich ihr Dialekt, obwohl an mancher Stelle der moderne Zeitgeist seinen Tribut fordert. Zum Beispiel in Form des „Wirtshaus-Burgers“, der bei näherer Betrachtung ein Fleischküchle in zwei Hälften eines echten Bäcker-Weckles ist. Versehen mit Soße, Zwiebeln und gebratenem Speck. Serviert in gehöriger Reichlichkeit, wie die Maulsperre eines am Nachbartisch zubeißenden Mannes eindrucksvoll belegt. Die bestellten Salate zeigen Solidität, wenn auch kein geschmackliches Spektakel. Das Maultaschensüppchen glänzt indes mit sehr aromatischen – weil fleisch- und würzreich gefüllt – Teigtaschen. Auch die Brühe kann sich durchaus löffeln lassen. Beim Griebenschmalzbrot wäre mehr Mut zu Salz und Pfeffer kein Schaden gewesen, was diesen schwäbischen Zwischengang aber nur um eine Winzigkeit in seiner – dank eines guten Sauerteigbrots – ordentlichen Qualität schmälert.
Das schwäbische Aushängeschild, der in zartem Rosa präsentierte Zwiebelrostbraten, ist zweifellos der Star des Menüs. Gibt er doch unter dem sanften Druck des Messers nach und offenbart seinen aromenreichen Saft. Die dazu gereichten Eierspätzle spielen ihre Nebenrolle als Sättigungsbeilage recht gut. Melierte und frittierte Zwiebeln komplettieren dieses Ensemble, bei dem einzig die Bratensoße deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt: Die dominante Kümmelnote kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Tunke zu wenig Charakter besitzt und ihr Fundament nicht – oder zu wenig – aus Fleisch und Knochen gebaut ist. Das aber kann an der Tagesform des Kochs liegen. Zu loben ist allemal, dass die Bratensoße sicher weitestgehend hausgemacht ist, was inzwischen eher die Ausnahme als die Regel in der Gastronomie darstellt. Lobend ist zu erwähnen, dass die Chicken-Nuggets aus Hähnchenbrustfilet bestehen und nicht aus irgendeiner ominösen fleichkäsähnlichen Geflügelmasse. Auch die Fleischbeigabe zum „Steirischen Filetsalat“ist sehr gepflegt, besteht sie doch aus sehr saftigen Schweinelendchen in einer knusperfeinen Kürbiskern-Panade.
Das alles hinterlässt insgesamt vielleicht keinen vollkommen paradiesischen Gesamteindruck. Doch ein vernünftiger Schwabenhimmel ist das Haus allemal.