Die Wiege der Superhelden
Marvel ist für die erfolgreichste Filmreihe aller Zeiten verantwortlich – Ein neues Buch beleuchtet die Ursprünge
Jedes Kind kennt sie: SpiderMan, Iron Man, Captain America – Superhelden aus dem Hause Marvel. Jahrzehnte nach ihrer „Geburt“feiern die Charaktere vor allem im Kino Erfolge. Ein umfangreiches Buch geht den Ursprüngen der übermächtigen Weltenretter nach – und zeigt dabei, dass Comics alles andere als Kinderkram sind.
Im Jahr 2008 schickte der Comicverlag Marvel mit „Iron Man“(Hauptrolle: Robert Downey jr.) den ersten Teil seiner aufeinander aufbauenden Filmreihe ins Rennen. Zehn Jahre später kann Marvel mit einer eigens dafür gegründeten Produktionsgesellschaft auf 17 erfolgreiche Filme und Einnahmen von 13,5 Milliarden US-Dollar zurückblicken. Damit ist einer der größten Comicbuchverlage für die weltweit erfolgreichste Filmreihe aller Zeiten verantwortlich. Und zwar sogar noch vor der „Star Wars“-Reihe, die es „nur“auf Einspielergebnisse von fast neun Milliarden US-Dollar bringt. Auch James Bond, Harry Potter und die „Herr der Ringe“-Trilogie haben die Marvel-Streifen hinter sich gelassen.
Hulk war ursprünglich grau
Wer wissen will, woher der Stoff für diese Blockbuster ursprünglich kommt, für den ist „Das Marvel-Zeitalter der Comics 1961–1978“von Roy Thomas Geschichtsbuch und Fundgrube zugleich. Denn nicht jeder Kinobesucher dürfte wissen, dass das Wutmonster Hulk ursrpünglich grau war und seine charakteristische grüne Farbe erst durch einen Fehldruck bekam. Der Autor Roy Thomas kennt sich bestens aus in der Materie: Er arbeitete von 1965 an 15 Jahre lang als Redakteur bei Marvel, davon zwei Jahre auch als Chefredakteur.
Doch der kiloschwere Wälzer bietet mehr als nur Nerdwissen und Trivia. Spannend ist etwa zu lesen, wie das Zeitgeschehen und politische Entwicklungen sich in den Comics widerspiegeln. So schufen Stan Lee und Jack Kirby 1966 mit dem „Black Panther“den ersten schwarzen Superhelden. Drei Jahre zuvor hatte Martin Luther King seine legendäre „I Have A Dream“-Rede gehalten. Ab 15. Februar ist der Königssohn aus dem fiktiven afrikanischen Staat Wakanda in seinem ersten eigenen Kinofilm zu sehen. Das Leinwandabenteuer mit Chadwick Boseman bricht bereits vor dem Kinostart Rekorde: In den USA wurden in den ersten 24 Stunden ab Beginn des Kartenvorverkaufs mehr Tickets geordert als für jeden anderen MCU-Film zuvor.
Der hochwertig aufgemachte Band konzentriert sich auf die Jahre, in denen Marvel dem Genre neue Impulse verlieh. Dabei wechseln sich erklärende und anekdotische Texte mit Szenen und Doppelseiten aus Comicheftchen ab. So erfahren wir, wie Autor Stan Lee und Zeichner Jack Kirby als Reaktion auf den Erfolg der Konkurrenz aus dem Hause Detective Comics (DC) im Jahr 1961 eine eigene Superheldentruppe ersannen: die „Fantastic Four“, hierzulande bekannt als „Die Fantastischen Vier“. Marvel-Gründer Martin Goodman wies Chefautor Lee an, eine Antwort auf DCs Verkaufsschlager „Justice League“zu finden. In der „JLA“traten Batman, Superman und Co. gemeinsam gegen die Bösewichter der Welt an.
Stan Lee spielte zu dem Zeitpunkt mit dem Gedanken zu kündigen, weil er gelangweilt von Superhelden war. Nun nutzte er die Gelegenheit, die Bildergeschichten zu reformieren: Er wollte die Akteure nicht länger als unnahbare Gestalten angelegt sehen, sondern als ganz normale Menschen mit ganz normalen Problemen – nur eben noch mit den gewaltigen Weltretter-Herausforderungen obendrauf. Auch die Geschichten sollten komplexer werden.
Nach und nach erblickten neue Figuren das Licht der Heftchenwelt, so etwa Spider-Man, eine Zusammenarbeit von Stan Lee und Zeichner Steve Ditko. Hier stand mit Peter Parker ein Teenager, der in der Schule gehänselt wurde und nicht besonders cool war, im Mittelpunkt der Bildergeschichten. Die Comic-Reihe war ein Paradebeispiel dafür, wie reizvoll die Leser den Kontrast zwischen übermenschlichen Taten und äußerst menschlichen Problemen fanden.
Stan Lee machte aus Marvel einen weltweit erfolgreichen Comic-Konzern und legte mit dieser Neuausrichtung den Grundstein für Erfolge, auf denen auch die heutigen MarvelKinofilme aufbauen. Es folgten weitere Reihen wie die X-Men und natürlich die Avengers, die wiederum die Konkurrenz von DC massiv unter Druck gesetzt haben. Denn seit 2008 machte Marvel die Fans mit den einzelnen Avengers-Mitgliedern vertraut, indem fast jedes Teammitglied seinen eigenen Film bekam. 2012 trafen Iron Man, Captain America, Thor, der Hulk, Black Widow und Hawkeye dann erstmals in einem gemeinsamen Kinofilm auf. Die Marvel Studios gehören mittlerweile zum Disney-Konzern und sind entscheidend an dessen wirtschaftlichem Erfolg beteiligt.
Stan Lee und sein Gastauftritt
Bei den Warner Bros. Filmstudios sah man den Erfolg und bastelt seit 2013 an an einem Kinouniversum der DC Comics. Allerdings konnten Filme wie „Batman vs. Superman“oder „Justice League“weder bei den Kritikern noch an den Kinokassen Marvel überholen. Einzig „Wonder Woman“sticht da hervor: Der Film von Patty Jenkins („Monster“) erzielte sehr gute Einspielergebnisse und machte Hauptdarstellerin Gal Gadot zum Superstar.
Die Rekordjagd geht indes weiter: Ab 26. April werden in „Avengers: Infinity War“so viele Marvel-Superhelden wie noch nie in einem gemeinsamen Kinofilm zu sehen sein. Und eines ist sicher: Stan Lee wird auch in diesem Abenteuer in einer winzigen Szene einen Gastauftritt haben. Das lässt er sich nicht nehmen, auch mit seinen mittlerweile 95 Jahren nicht.