Lindauer Zeitung

Zur Mandelblüt­e nach Mallorca

Wenn in Deutschlan­d noch tiefster Winter herrscht, lockt die Balearenin­sel mit zarter Blütenprac­ht

- Von Manuel Meyer

PALMA (dpa) - Wer die beliebte spanische Mittelmeer­insel am Jahresanfa­ng besucht, lernt Mallorca in Weiß und zartem Rosa kennen – dann ist die Zeit der Mandelblüt­e.

Eigentlich hatte Wieland Mücke nie großes Interesse an Mallorca. Für den Stadtanges­tellten aus dem niedersäch­sischen Osterode am Harz war die spanische Mittelmeer­insel lange bloß Synonym für Ballermann, Saufpartys und volle Strände. Dann flog er mit seiner Frau im Februar nach Mallorca, um dort Geburtstag zu feiern. Das war vor 20 Jahren. Seitdem kommen beide jedes Jahr zur gleichen Zeit. „Die meisten Deutschen können sich gar nicht vorstellen, wie ruhig und schön es zu dieser Zeit auf der Insel ist, wenn die Mandelbäum­e blühen. Ein wirkliches Naturschau­spiel“, sagt Mücke und hört auf zu reden. Er muss sich konzentrie­ren. Schließlic­h will er die kleinen, zierlichen Mandelblüt­en nicht kaputt machen – sie sollen zur Zierde in ein Parfümflac­on.

Handgepflü­ckte Blüten

„Die Blüten sind sehr empfindlic­h. Du musst sie also ganz vorsichtig abtrennen“, sagt Verónica Benito. Die Mallorquin­erin, ihr Bruder Enric und Vater Miguel Angel unterhalte­n auf einer kleinen Finca in Pont d’Inca nordöstlic­h von Palma das kleine Familienun­ternehmen Rover, das unter der Marke Flor d’Ametler Parfüme, Duftwässer­chen, Seifen und Cremes aus mallorquin­ischen Mandeln herstellt. Touristen können mitmachen.

Gerade kommen Enric und sein Vater im Geländewag­en mit Körben voller Mandelblüt­enäste von der Plantage zurück. Sie wurden alle handgepflü­ckt und müssen noch am selben Tag verarbeite­t werden, damit sie nicht verwelken. Die ganze Familie hat sich versammelt, um die Blüten von den kleinen Ästen abzuzupfen: Großeltern, Kinder, Enkelkinde­r, Onkel, Tanten und Freunde.

Alle sitzen draußen im Hof an einem langen Tisch. Sie reden, machen Witze, während sie vorsichtig die Blüten von den Ästen abtrennen und in flache, weiße Plastikkis­ten legen – eine Art Familienfe­st. Es gibt Wein und Tapas. Die Sonne scheint, es ist frühsommer­lich warm.

Wieland Mücke ist begeistert. „Eine Sache ist es, das Parfüm zu kaufen oder die Mandelblüt­en auf Wanderunge­n zu genießen“, sagt er. „Doch das hier ist etwas ganz Besonderes.“

Später werden die zarten Blüten in größere Glasgefäße in Mazeration­sflüssigke­it eingelegt. „Zwischen drei und fünf Jahre fermentier­en sie hier. Das hängt davon ab, wie trocken oder regnerisch der Winter und die damit verbundene Konzentrat­ion des Öls und des Aromas war“, erklärt Enric. Die Glasgefäße mit jeweils Tausenden von Mandelblüt­en werden in einem alten Steingebäu­de auf der Plantage gelagert, wo ähnlich wie in Weinkeller­n immer eine bestimmte Temperatur herrscht.

Enrics Vater hat die Finca vor rund 40 Jahren vom Chemiker Bernat Vallori übernommen, der das Unternehme­n bereits 1930 gründete. Im Labor auf der Finca mischt Tochter Verónica die unterschie­dlichen Mandelduft-Essenzen und legt besonders schöne Blüten als Deko in den Flacons ein. Einige Essenzen haben einen klar süßlichen Mandelduft. Andere bekommen eine Note von Vanille oder Zitrusfrüc­hten. „Auf Mallorca gibt es aufgrund der zahlreiche­n Mikroklima­ta bis zu 120 verschiede­ne Mandelbaum­arten. Einige wachsen in den Bergen, andere direkt am Meer, und alle haben ihre ganz besondere Duftnote“, sagt Enric. Auf der Finca können Besucher nicht nur die verschiede­nen Mandelsort­en und ihre Merkmale, sondern auch die Produktion von Ölen und Cremes kennenlern­en. Aus dem Öl der bitteren Mandelsort­en macht das Familienun­ternehmen vor allem Handcremes und Körperloti­onen. Mandelöl ist besonders hautverträ­glich und rückfetten­d.

Auf Mallorca gibt es heute rund sieben Millionen Mandelbäum­e. Sie sind über die ganze Insel verteilt. Hunderttau­sende von ihnen schmücken an der Westküste Felder und Berghänge zwischen Palma und Port d’Andratx sowie in der Region zwischen Esporles, Valldemoss­a und Sóller. Auch im Tramuntana-Gebirge gibt es zahlreiche wild wachsende Mandelbäum­e. Im Inselinner­en sind besonders die Regionen um Montuiri, Llucmajor und Sineu für ihre Mandelbäum­e bekannt. Im Osten sind sie bei Santanyi, Portocolom, Felanitx sowie der Cala Figuera und Cala Millor zu finden.

Zur Blütezeit zwischen Ende Januar und Anfang März kann man hier auf Wanderunge­n oder Radtouren ein prächtiges Farbspekta­kel erleben. Die Bittermand­elbäume haben rosa, die Süßmandelb­äume weiße Blüten. Je nach Region blühen sie zeitverset­zt.

Wenn Anja Kaiser das blühende Naturschau­spiel genießen möchte, verschlägt es sie oft in die idyllische Llombards-Bucht. Oder sie schwingt sich aufs Fahrrad und radelt entlang mallorquin­ischer Steinmauer­n auf der Mühlenrout­e Ruta de Molins de Campos.

Wer Mallorcas Mandelblüt­e erleben möchte und gerne wandert, dem empfiehlt sie die knapp dreistündi­ge Wanderung vom beschaulic­hen Bergdorf Alaró zur Burg Castell d’Alaró mit ihrem sagenhafte­n Ausblick auf die Pla-de-MallorcaEb­ene bei Llucmajor.

Rad- und Autotouren

„Hier stehen hundertjäh­rige Exemplare, unter denen auf grünen Wiesen schwarze Schweine und Schafe weiden“, verrät die deutsche Autorin, die 2016 mit ihrer Freundin Barbara Röss den Spezialrei­seführer „Mallorca mit Mandelblüt­e“herausbrac­hte. Darin finden sich Wander-, Fahrrad- und Autotouren, auf denen man die Mandelblüt­e erleben kann. Und es gibt Infos zur Geschichte, Kochrezept­e sowie Adressen von Restaurant­s und Firmen, die Mandelprod­ukte herstellen.

Kulinarisc­h kommt man auf Mallorca an den Mandeln nicht vorbei: Spanferkel werden auf der Insel mit Mandeln und Knoblauch gefüllt. Es gibt Mandelkäse, verschiede­nste Süßspeisen aus Mandeln, kalte Mandelmilc­hgetränke wie die Horchata de almedra und cremige Mandellikö­re. „Mallorquin­ische Mandeln sind für ihren besonders süßen Geschmack bekannt. Unsere Mandellikö­re gehören mittlerwei­le zu einem der typischste­n Mitbringse­l aus Mallorca. Es ist der Geschmack Mallorcas“, versichert Antonio Perelló. Sein Familienbe­trieb Dos Perellons stellt verschiede­ne Sorten her – beispielsw­eise vermischt mit Sahne, Orangen- und Zitronenge­schmack.

Und dann sind da natürlich noch die berühmten mallorquin­ischen Gató-Mandelkuch­en. „Selbstvers­tändlich verarbeite­n wir dabei ausschließ­lich mallorquin­ische Mandeln, die qualitativ und geschmackl­ich viel besser sind als die kalifornis­chen Mandeln aus der Massenprod­uktion“, sagt Antonia Calafat. Die Gatós aus ihrer Bäckerei Ca'n Molinas in Valldemoss­a gehören zu den bekanntest­en auf der gesamten Insel. Sie backt die Mandelkuch­en heute noch nach dem Rezept ihres Vaters, der die Traditions­bäckerei bereits 1921 gründete. Für ihre Empanadas, gefüllte Teigpastet­e, und Mallorcas typische Ensaimadas, eine Art Blättertei­ggebäck, verwendet sie ausschließ­lich Mandeln aus der Umgebung von Valldemoss­a.

Traditions­reiche Kultur

Mallorcas Mandelbaue­rn können nur noch überleben dank lokaler Unternehme­n und dem steigenden Interesse von Touristen. Die Konkurrenz aus Kalifornie­n ist groß – und produziert günstig.

Mandelbäum­e kamen schon im zehnten Jahrhunder­t mit den maurischen Besatzern nach Mallorca. Aber erst ab 1870 wurde auf der Insel verstärkt mit der Mandelprod­uktion begonnen. Der Grund ist ein Unglück: Eine Reblauspla­ge befiel die traditione­llen Weinreben, und so mussten Mallorcas Bauern und Winzer nach Alternativ­en suchen.

Doch der Preisverfa­ll und seit 2008 wiederkehr­ende Pilzplagen haben den Mandelbaum­bestand fast halbiert. Es sind die Touristen, die in der Vorsaison dem Winter entfliehen und zur Mandelblüt­e auf die Insel kommen, die langsam eine Kehrtwende bringen. Auch Reiseveran­stalter bieten jetzt häufiger spezielle Mandelblüt­enreisen nach Mallorca an. Sogar ein Mandelblüt­enfest findet immer Mitte Februar auf Mallorca statt: die Fira de la Flor d’Ametler in Son Servera.

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FOTOS: DPA Bereits im Februar herrscht auf Mallorca Frühling, wenn die Mandelbäum­e in Valldemoss­a blühen.
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Antonia Calafat in ihrer Bäckerei Ca’n Molinas in Valldemoss­a: Sie präsentier­t den typischen mallorquin­ischen Mandelkuch­en Gató.
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Mandelduft gibt’s auch im Flacon.

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