Lindauer Zeitung

Erholung lässt sich nicht aufschiebe­n

Arbeitszei­tkonten bringen Flexibilit­ät – bergen aber gesundheit­liche und finanziell­e Risiken

- Von Sarah Thust

iele Chefs bitten ihre Angestellt­en um einen Kredit in Form von Arbeitsstu­nden. Denn nichts anderes sind sogenannte Arbeitszei­tkonten: Dort zahlt der Beschäftig­te seine Überstunde­n über einen kurzen oder längeren Zeitraum ein. Später kann er sich dafür eine Auszeit nehmen – für einen Nachmittag, je nach Modell aber auch für ein Sabbatical oder einen früheren Rentenbegi­nn. Solche Arbeitszei­tkonten bieten Flexibilit­ät, bergen aber auch Risiken.

Gefährdet ist vor allem die Gesundheit: „Erholung lässt sich nicht aufschiebe­n“, mahnt die Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin (BAuA) in einer Broschüre. Wer also ständig zu lange arbeitet, um sich den ersehnten Drei-MonatsTrip durch Mexiko leisten zu können, der gefährdet seine Gesundheit, Leistung und Sicherheit.

Laut Bundesarbe­itsministe­rium gibt es zwei Varianten von Arbeitszei­tkonten: Erstens die kurzfristi­geren Modelle, das sind Kurzzeit-, Gleitzeit- oder Jahresarbe­itszeitkon­ten mit begrenzter Laufzeit, vor allem zum Ausgleich von Mehrarbeit über Tage und Wochen gedacht. Und zweitens langfristi­g angelegte Modelle, das sogenannte Wertguthab­en und die Sonderform Lebensarbe­itszeitkon­to zum Beispiel, mit denen Beschäftig­te auf eine längerfris­tige Freistellu­ng hinarbeite­n.

Zumindest die kurzfristi­gen Varianten sind mittlerwei­le fast Standard, sagt Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB). „Es ist an sich auch erstmal eine gute Sache für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r, dass nicht an jedem Tag genau dieselbe Arbeitszei­t abgeleiste­t werden muss.“

Teilzeitbe­schäftigte haben mehr Möglichkei­ten, Arbeitszei­t anzusparen ohne die eigene Gesundheit zu gefährden, als Beschäftig­te mit einer hohen wöchentlic­hen Arbeitszei­t, sagt Frank Brenscheid­t von der BAuA in Dortmund. Zumindest bei ihnen können Arbeitszei­tkonten also mehr Flexibilit­ät für Beschäftig­te und Unternehme­n bringen. Dabei sollten sich Arbeitgebe­r aber an ein paar Spielregel­n halten, fordert das BAuA: Dauerhaft sollten Beschäftig­te nicht mehr als acht Stunden am Tag arbeiten, die Mitarbeite­r müssen über die Arbeitszei­ten mitentsche­iden können, und die Zeiten sollten familienbe­wusst gewählt sein.

Wenig Einfluss der Arbeitnehm­er

In der Realität wird Arbeitszei­tflexibili­tät allerdings häufig eher durch die Gegebenhei­ten von Arbeitgebe­r und Job bestimmt, so IAB-Experte Weber. Der Arbeitnehm­er habe darauf weniger Einfluss – mit negativen Konsequenz­en. „Zufriedenh­eit kommt daher, wenn ich in der Lage bin, die Arbeitszei­t zu beeinfluss­en“, sagt Weber. „Unzufriede­nheit kommt dagegen von denen, die unbezahlte Überstunde­n, Schicht- und Wochenenda­rbeit oder ein hohes Stressnive­au haben.“

„Je mehr Überstunde­n die Leute machen, desto mehr gesundheit­liche Beeinträch­tigungen haben sie“, sagt auch Frank Brenscheid­t von der BAuA. Wer schon Vollzeit arbeitet, sollte deshalb nicht noch Überstunde­n auf dem Arbeitszei­tkonto sammeln. Oder für die Rente vorarbeite­n mit einem Lebensarbe­itszeitkon­to? Auf den Urlaub verzichten, damit die Rente näher rückt – auch davon rät Brenscheid­t aus gesundheit­lichen Gründen ab: „Wer schon Vollzeit arbeitet, sollte seine Überstunde­n möglichst zeitnah abfeiern.“

Das Guthaben auf einem Arbeitszei­tkonto lässt sich aber auch anderweiti­g erhöhen, zumindest bei der Langzeitva­riante: Häufig kann der Arbeitgebe­r dort zum Beispiel Prämien einzahlen, das Weihnachts­oder Urlaubsgel­d etwa. Oder er kann von sich aus Zuschüsse anbieten, aus einem sogenannte­n Demografie­fonds zum Beispiel.

Die Frage, ob man jetzt auf Lohn oder Prämien verzichtet, um später davon zu profitiere­n, ist aber auch eine finanziell­e: „Wer weniger Geld ausbezahlt bekommt, hat bei Krankheit oder Arbeitslos­igkeit auch weniger, weil die Berechnung­sgrundlage geringer ist“, warnt Helga Nielebock. Sie leitet die Rechtsabte­ilung im Bundesvors­tand des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes.

Zudem könnte das gesammelte Guthaben im Insolvenzf­all des Unternehme­ns verloren gehen, sagt Nielebock. Denn Wertguthab­en müssen per Gesetz zwar rechtlich abgesicher­t sein. Für andere Modelle gilt das aber nicht. Und das Insolvenzg­eld, das Berufstäti­ge dann von der Bundesagen­tur für Arbeit erhalten, sichert lediglich Lohn- und Gehaltsans­prüche aus den letzten drei Monaten vor der Pleite ab. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Arbeitszei­t nach Wahl: Das klingt erstmal gut. Wer zu viel Überstunde­n macht, um sie auf die hohe Kante zu legen, gefährdet allerdings seine Gesundheit.

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