Spitzenforschung verständlich gemacht
Fachleute erläutern bei einer Matinee die aktuellen Nobelpreise.
LINDAU - Spitzenforschung ist für Laien meist schwer verständlich. Noch schwieriger wird es, wenn diese Wissenschaft weit weg ist vom Alltag. Dennoch kann man solche Forschung auf eine Weise erklären, dass auch Laien sie verstehen. Das haben am Sonntagmorgen bei der jährlichen Matinee zu den aktuellen Nobelpreisträgern im vollbesetzten Sparkassensaal wieder vier Fachleute bewiesen.
Am nächsten an der Lebens wirklichkeit der Zuhörer waren wahrscheinlich die Forschungen des Wirt schafts wissenschaftlers R ich ardThaleraus Chicago, der sich mit der Tatsache befasst hat, dass Menschen eher Captain Kirk als Mister Spock sind, wie es Andrea Wrba deutlich machte. Die Doktorandin von der TU München hat im Sommer an der Ökonomen-Tagung in Lindau teilgenommen. Dass wir Vieles machen, obwohl wir wissen, dass es schädlich ist, dürfte unstrittig sein. Es stört aber die hergebrachten Modelle der Ökonomen, die Menschen fälschlicherweise als perfekt rational, selbst beherrscht und selbstsüchtig betrachten.
Thaler hat mit verschiedenen Experimenten unter anderem nachgewiesen, dass jemand, der etwas besitzt, dessen Wert immer höher einschätzt als derjenige, der dies noch nicht besitzt. Diese Eigenschaft des Menschen nutzen Firmen heute, wenn sie Probefahrten anbieten oder Pakete mit Rückgaberecht ins Haus schicken. Denn wer die Waren daheim hat, schickt sie aus verschiedenen Gründen meist nicht wieder zurück.
Thaler hat ebenso nachgewiesen, dass man Menschen besser mit sanftem Schub – die Fachleute sprechen von libertärem Paternalismus, also freiwilliger Gängelung – zu bestimmten Handlungen bringt als durch Verbote oder Vorschriften. Das gilt für die Fliege im Pissoir, das daraufhin sauberer ist als ohne, ebenso wie für politische Fragen. Denn in Österreich ist die Zahl der Organspender allein deshalb sehr viel höher als in Deutschland, weil man dort ausdrücklich erklären muss, dass man nicht will, während man hierzulande erklären muss, dass man Organspender sein will.
Auch wenn jeder die innere Uhr spürt, sind die Forschungen der Medizin-Nobelpreisträger Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young weit vom Normalbürger entfernt. Chefarzt Professor Paul-Jürgen Hülser von der Neurologischen Fachklinik in Wangen stellte die Forschungen vor, bei der Wissenschaftler seit fast 40 Jahren die Gene identifiziert haben, die Menschen, Tiere und Pflanzen nach dem Tag-Nacht-Rhythmus ausrichten. Deutlich wurde, dass ein komplexes und stabiles System in den Zellen das Leben auf der Erde im 24Stunden-Rhythmus prägt, das andererseits so flexibel ist, sich innerhalb kurzer Zeit am anderen Ende der Weltkugel neu auszurichten. Die Mediziner vermuten, dass Störungen dieses Systems für viele Krankheiten verantwortlich sind, doch das genau auszuforschen, ist eine Aufgabe für künftige Nobelpreisträger.
Damit die Medizin Krankheiten viel schneller erforschen kann
Indirekt spüren Menschen die Folgen der Endeckungen, für die Jacques Dubochet, Joachim Frank und Richard Henderson den Nobelpreis für Chemie erhalten haben. Das erläuterte
Stephan Förbs, Chemielehrer am Rupert-Neß-Gymnasium in Wangen. Zwar wird sicher niemand im Alltag mit Temperaturen um minus 190 Grad zu tun bekommen und ein Kryo-Elektronenmikroskop hat auch sicher keiner daheim. Aber die Tatsache, dass Wissenschaftler deshalb heute sehr schnell hoch aufgelöste Bilder von Atomen erhalten, die sogar dreidimensional oder als Video darstellbar sind, beschleunigen Forschungen erheblich. So liegen heute Ergebnisse in wenigen Monaten vor, für die Nobelpreisträger früher zwei Jahrzehnte rechnen mussten. Als Beispiel nannte
Förbs die Erforschung des in Brasilien aufgetretenen Zika-Virus.
Ein Moment, der buchstäblich die ganze Erde bewegt hat
Weit weg vom menschlichen Alltag sind die Forschungen, für die Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne den Nobelpreis bekommen haben. Professor Rainer Blatt, Physik-Professor aus Innsbruck und Mitglied des Kuratoriums der Nobelpreisträgertagungen, erläuterte dennoch sehr anschaulich, wie Wissenschaftler sich über Jahrzehnte bemüht haben, Einsteins Berechnungen zu den Gravitationswellen festzustellen. Tatsächlich waren erhebliche technische Entwicklungen nötig, damit dies gelingen konnte. Zwei große Versuchsstationen in den USA – inzwischen gibt es ähnliche Einrichtungen auch in Deutschland und Italien, Indien und Japan planen solche Stationen – konnten einen Moment aufzeichnen, der buchstäblich die Welt bewegt hat: Zu hören ist ein kurzes Geräusch, das von einer Kollision zweier Schwarzer Löcher her stammt, zu der es vor 1,3 Milliarden Jahren und ebensoviele Lichtjahre entfernt gekommen ist.
Auch wenn diese Wellen die Erde nur um Tausendstel des Durchmessers eines Protons bewegt haben, war dies für die Forschungseinrichtungen messbar. Während die Bedeutung für Laien kaum verständlich ist, sprach Blatt dem eine sehr große Bedeutung für die weitere Wissenschaft der Grundlagen unserer Welt zu. Vor allem geht es den Forschern dabei um die Erforschung des Urknalls, also der Entstehung der Welt.