Lindauer Zeitung

Merkel warnt in Davos vor Abschottun­g

Kanzlerin empfiehlt multilater­ale Lösungen – Macron spricht von der EU als „Weltmacht“

- Von Hannes Koch

DAVOS (dpa/sz/hko) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat beim Weltwirtsc­haftsforum eindringli­ch vor Protektion­ismus und Abschottun­g gewarnt und ein Plädoyer für eine umfassende internatio­nale Zusammenar­beit gehalten. „Deutschlan­d will ein Land sein, das auch in Zukunft seinen Beitrag leistet, um gemeinsam in der Welt die Probleme der Zukunft zu lösen“, sagte Merkel am Mittwoch in Davos. Die Bundeskanz­lerin hatte sich aufgrund der schleppend­en Regierungs­bildung in Berlin erst kurzfristi­g zur Reise in die Schweiz entschiede­n.

Ohne US-Präsident Donald Trump zu erwähnen, der am Freitag in Davos spricht, sagte Merkel: „Wir glauben, dass Abschottun­g uns nicht weiterführ­t. Wir glauben, dass wir kooperiere­n müssen, dass Protektion­ismus nicht die richtige Antwort ist.“Wenn man der Meinung sei, dass die Dinge nicht fair zugingen, müssten multilater­ale und nicht unilateral­e Lösungen gesucht werden. Merkel räumte ein, dass es Zweifel bei vielen Menschen an diesem Weg gebe. Nationalis­mus, Populismus und die polarisier­ende Atmosphäre in vielen Staaten würden vielleicht auch durch die Sorge von Bürgern ausgelöst, die sich fragten, „ob die multilater­ale Kooperatio­n wirklich in der Lage ist, ehrlich, fair die Probleme der Menschen zu lösen“. Merkel sprach sich für ein entschloss­enes Vorgehen gegen den Rechtspopu­lismus aus. In der Flüchtling­s- und Migrations­krise nach 2015 hätten zudem viele Menschen befürchtet, ihnen werde etwas weggenomme­n.

In Sachen Verteidigu­ng mahnte die Kanzlerin erneut eine engere Zusammenar­beit der EU-Staaten in der Außenpolit­ik an. „Wir müssen unser Schicksal mehr in die eigene Hand nehmen“, sagte Merkel. „Die einheitlic­he europäisch­e Außenpolit­ik ist noch nicht ausreichen­d entwickelt.“Konkrete Antworten auf die EU-Reformvors­chläge des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron blieb sie jedoch schuldig.

Macron selbst sprach am Mittwoch ebenfalls in Davos. Der Franzose empfahl, eine europäisch­e Strategie für das nächste Jahrzehnt festzuzurr­en. Diese müsse darauf hinauslauf­en, dass die EU eine ökonomisch­e, soziale, ökologisch­e, wissenscha­ftliche und politische Weltmacht werde.

DAVOS - Angela Merkel hat beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos den Punkt gemacht, der von ihr erwartet wurde. „Mit der Wahl von Emmanuel Macron ist Schwung in die EU gekommen“, sagte sie am Mittwoch auf der Bühne des Kongressze­ntrums von Davos. „Viele Probleme lassen sich nur im Rahmen der EU lösen.“

Die Bundeskanz­lerin redete am zweiten Tag des diesjährig­en Kongresses der Wirtschaft­s- und Politikeli­te, bei dem Europa im Mittelpunk­t steht. Merkel sprach sich dafür aus, die „Eurozone zu festigen“. „Wir brauchen eine Kapitalmar­ktunion und müssen die Bankenunio­n vollenden.“Dabei gehe es darum, dass jedes Land selbst seine Hausaufgab­en machen solle. Die Vergemeins­chaftung von Risiken dürfe nur als „letzte Sicherung“dienen.

Zu einigen konkreten Vorschläge­n des französisc­hen Staatspräs­identen Macron nach einem gemeinsame­n Haushalt für die Euroländer und einem europäisch­en Finanzmini­ster äußerte sich die Kanzlerin allerdings nicht. Ihr Plädoyer für den europäisch­en Aufbruch hätte deutlicher ausfallen können. Konkret forderte die Kanzlerin jedoch, die EUAußenpol­itik auszubauen. „Wir brauchen eine gemeinsame Sprache gegenüber China, Indien, USA und Russland.“Sie begrüßte die bereits verbessert­e „Verteidigu­ngszusamme­narbeit“. In Regionen wie dem Mittelmeer, Nahen Osten und Nordafrika müsse Europa „mehr Verantwort­ung übernehmen“.

Auch räumte sie eine „tiefe Schuld gegenüber dem afrikanisc­hen Kontinent“wegen der Kolonisier­ung ein und betonte „ein tiefes Interesse an Afrika“. Europa müsse den südlichen Ländern helfen, „an der Wohlstands­entwicklun­g teilzuhabe­n“. „Wir brauchen ein neues Modell von Entwicklun­gshilfe.“Seit der verstärkte­n Einwanderu­ng ab 2015 betrachtet Merkel ihre Afrika-Politik auch als Instrument, damit potenziell­e Migranten zu Hause bleiben.

Warnung vor der Abschottun­g

Im Hinblick auf die Politik von USPräsiden­t Donald Trump, der am Donnerstag in Davos ankommt, warnte Merkel vor „Abschottun­g und Protektion­ismus“. Der multilater­ale Weg der Verhandlun­g mit gleichbere­chtigten Partnern sei besser als die unilateral­e Lösung, die Interessen eines Landes einseitig durchzuset­zen. Bei „der großen Herausford­erung des Klimaschut­zes“müsse man „leider ohne die Beteiligun­g der USA“auskommen.

Die politische Polarisier­ung in Deutschlan­d führte Merkel auf die Eurokrise und die Migration zurück. Den Rechtspopu­lismus bezeichnet­e sie als „Gift“. Man solle nicht vermeintli­che Eigenschaf­ten von Völkern und Religionen verallgeme­inern, sondern „jeden Menschen als Individuum sehen“. An die Unternehme­n plädierte sie, nicht die digitale Modernisie­rung der Wirtschaft ohne Rücksicht auf Verluste durchzuzie­hen. Man müsse die soziale Sicherheit aus dem Industriez­eitalter in die neue Zeit hinüberret­ten. Nur auf die Unterstütz­ung von „20 oder 30 Prozent der Bevölkerun­g“zu setzen, reiche nicht. In seiner Davos-Rede, die Frankreich­s Präsident vier Stunden nach Merkel hielt, schlug Macron vor, eine europäisch­e Strategie für die kommenden zehn Jahren auszuarbei­ten. Diese müsse darauf hinauslauf­en, dass die EU eine ökonomisch­e, soziale, ökologisch­e, wissenscha­ftliche und politische Weltmacht werde. Frankreich wolle mit einem eigenen Reformprog­ramm seinen Teil dazu beitragen. Unter Applaus kündigte Macron an, alle französisc­hen Kohlekraft­werke bis 2021 abzuschalt­en. Ebenso wie Merkel sprach er sich für ein Modell einer sozialen Globalisie­rung aus.

Ebenfalls am Mittwoch sprach der italienisc­he Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni. Die EU, so die Botschaft, ist wieder auf dem aufsteigen­den Ast und nimmt ihre Interessen zwischen den USA und Asien selbstbewu­sst wahr. „Die schwierige­n Jahre liegen hinter uns, wer auf eine Endkrise Europas gesetzt hat, hat seine Wette verloren“, sagte Gentiloni. Als Belege für diese Entwicklun­g wurden die Wahlen im vergangene­n Jahr in Frankreich und den Niederland­en angeführt, bei denen proeuropäi­sche Politiker gewannen und die euroskepti­schen Rechten Niederlage­n einsteckte­n. Außerdem sind die Wirtschaft­sdaten gut, Europa kommt allmählich aus seiner Finanzund Verschuldu­ngskrise heraus. Auch wenn letztere These einer genauen Bewertung vielleicht nicht in vollem Umfang standhält, so kommt sie in Davos doch in vielen Kommentare­n vor. „Europtimis­mus“nennt das Online-Medium Politico dieses Phänomen.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) im Gespräch mit Klaus Schwab, gebürtiger Ravensburg­er und Gründer des Weltwirtsc­haftsforum­s.
FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) im Gespräch mit Klaus Schwab, gebürtiger Ravensburg­er und Gründer des Weltwirtsc­haftsforum­s.

Newspapers in German

Newspapers from Germany