Lindauer Zeitung

Hauptsache politisch korrekt

Berliner Hochschule will Gedicht wegen Sexismus übermalen

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BERLIN (dpa) - Die Freiheit der Kunst kümmert die Gremien der Alice Salomon Hochschule in Berlin nicht. Sie haben beschlosse­n, ein angeblich sexistisch­es Gedicht von Eugen Gomringer an der Hochschulf­assade übermalen zu lassen. Der Akademisch­e Senat beschloss mit acht von zwölf Stimmen, die Fassade alle fünf Jahre mit einem neuen Text zu füllen.

Eugen Gomringer kritisiert­e die Entscheidu­ng. „Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie“, sagte der 93-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Er behalte sich rechtliche Schritte vor. Der Deutsche Kulturrat, Spitzenorg­anisation von 250 Bundeskult­urverbände­n, reagierte „erschütter­t“. Geschäftsf­ührer Olaf Zimmermann sagte : „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass eine Hochschule, die selbst Nutznießer der Kunst- und Wissenscha­ftsfreihei­t ist, dieses Recht dermaßen mit Füßen tritt.“

Allgemeine­s Entsetzen

Das Deutsche PEN-Zentrum warnte vor Zensur. Die Hochschule verteidigt­e ihre Entscheidu­ng dagegen. Für sie bedeute das Votum „ein klares Bekenntnis zur Kunst“, erklärte Rektor Uwe Bettig. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters nannte die Pläne einen „erschrecke­nden Akt der Kulturbarb­arei“. Kunst und Kultur bräuchten Freiheit und Diskurs, betonte Grütters. Das sei eine der wichtigste­n Lehren aus der Geschichte. „Wer dieses Grundrecht durch vermeintli­che ,political correctnes­s’ unterhöhlt, betreibt ein gefährlich­es Spiel“, erklärte die Kulturstaa­tsminister­in.

Das Gedicht des bolivianis­chsch-weizerisch­en Autors aus dem Jahr 1951 hatte in der spanischen Originalfa­ssung seit rund sechs Jahren die Fassade der Alice Salomon Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung in Berlin-Hellersdor­f geziert. Damals hatte die Hochschule Gomringer mit dem Alice Salomon Poetik Preis ausgezeich­net. Ins Deutsche übersetzt heißt es: „Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer“.

Seit 2016 hatten Studentenv­ertreter Kritik an dem Gedichttex­t geäußert, da dieser nach ihrer Auffassung Frauen herabsetze. So reproduzie­re es eine „klassische patriarcha­le Kunsttradi­tion, in der Frauen ausschließ­lich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspiriere­n“, erklärten die Studentenv­ertreter. „Es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigun­g, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind.“

Die Hochschule teilte mit, sie werde Gomringers Wunsch nachkommen und auf einer „Tafel“in Spanisch, Deutsch und Englisch an das Gedicht und die Debatte darum erinnern. Der Lyriker selbst hat dafür „drei Plakate“gefordert.

Die Alice Salomon Hochschule ist nach eigenen Angaben mit 3700 Studierend­en die deutschlan­dweit größte staatliche Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN Eugen Gomringers Gedicht soll von der Fassade der Alice Salomon Hochschule verschwind­en, weil es angeblich sexistisch ist.

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