Lindauer Zeitung

Zoff um das geliebte Vehikel

Nach der Studie eines Rechtsvers­icherers gibt es in Kempten und Kaufbeuren die meisten Konflikte im Allgäu

- Von Anja Worschech

ALLGÄU -Die Kemptener und Kaufbeurer sind echte Streithans­l – zumindest wenn man dem Streitatla­s 2017 des Rechtsschu­tzversiche­rers Advocard Glauben schenkt. Demnach gibt es, wie berichtet, in Kempten 28,3 Streitfäll­e pro 100 Einwohner. Das bedeutet, dass mehr als jeder Vierte in Kempten einen Konflikt hatte. Kaufbeuren folgt auf Platz zwei mit einer „Streitquot­e“von 23,8 Prozent.

Diese Zahlen erscheinen sehr hoch. Hintergrun­d dafür: Advocard lässt in die Statistik jeden Kunden einfließen, der sich mit einem Problem meldet. „In den meisten Fällen löst sich der Streitfall bereits durch eine Erstberatu­ng, eine Mediation oder einen Schlichter“, sagt Sprecherin Sonja Frahm auf Anfrage unserer Zeitung. Die Fälle landen also nicht zwingend vor Gericht. „Größere Städte bieten den besten Nährboden für Streit“, sagt Peter Stahl, Vorstandss­precher von Advocard. „Viele Menschen auf engem Raum, dazu eine ausgeprägt­e Anonymität – da kann schnell Streit entstehen.“Wie viele Kunden Advocard im Allgäu hat, wollte der Versichere­r aber nicht herausgebe­n.

Tendenz ist steigend

Am häufigsten wird in Kempten laut Streitatla­s um Privates gestritten, also etwa bei der Scheidung oder dem Erbe. In Kaufbeuren dagegen gibt es oft Ärger rund um das Auto. Im restlichen Allgäu geht es sichtlich entspannte­r zu. In den Landkreise­n bewegt sich die Streitquot­e zwischen 16,5 Prozent im Unterallgä­u und 21,6 Prozent im Westallgäu. Tendenz steigend im Vergleich zur Erhebung 2014. Ob das an der speziellen Art vieler Allgäuer liegt, bleibt da naturgemäß offen.

Das Geschäft mit Rechtsschu­tzversiche­rungen im Allgäu brummt, ist der Eindruck von Thomas Rominger, Geschäftss­tellenleit­er der Versicheru­ngsgesells­chaft Arag Kempten. „Seit zwei Jahren steigt der Bedarf.“Vor allem die Nachfrage nach einem Vermieter-Rechtsschu­tz. Anwalt Ralf Brückner empfiehlt: „Die Leute sollten wieder mehr miteinande­r reden.“Kommunikat­ion sei das A und O, um Rechtsstre­itigkeiten zu vermeiden. Brückner ist Mitglied im Anwaltsver­ein Kempten und spezialisi­ert auf Verkehrsre­cht – er streitet sich mit den Haftpflich­tversicher­ungen bei Unfallschä­den. „In 60 Prozent der Fälle geht es dabei um Kleinstbet­räge unter 200 Euro“, sagt er. Das sei der „völlige Wahnsinn“, da die Gerichtsko­sten meist viel höher seien als der tatsächlic­he Schaden am Fahrzeug. Bei Scheidunge­n gehe es oft um Kleinigkei­ten, weiß er von seinen Anwaltskol­legen: „Wer bekommt den silbernen Löffel, wer die Gabel?“, sagt er überspitzt. Auch Nachbarsch­aftszwist gebe es immer wieder: Mal stört ein zu hoher Baum, mal ein rankendes Efeugewäch­s oder ein abgestellt­er Wohnwagen. Zu vielen Streiterei­en komme es nach Meinung Brückners durch mangelnden Respekt. „Das nimmt zu.“

An den Amtsgerich­ten Kempten und Kaufbeuren stehen Nachbarsch­aftsstreit­igkeiten nur selten auf der Tagesordnu­ng. Der Schwerpunk­t in Zivilsache­n liegt in Kempten auf Schadenser­satzklagen nach Verkehrsun­fällen, beispielsw­eise nach einem Parkplatz-Rempler. Pro Jahr gebe es am Kemptener Amtsgerich­t im Schnitt über 1300 Verfahren in Zivilsache­n, teilt Richter Peter Koch mit.

Am Amtsgerich­t Kaufbeuren kommen immer wieder Mietsachen zur Verhandlun­g – dabei geht es vor allem um die Nebenkoste­nabrechnun­g oder die ausstehend­e Miete. Pro Jahr gebe es in Zivilsache­n etwa 1500 Verfahren. „Mit Sicherheit sagen nicht alle Verfahren etwas über die Streitlust der Bevölkerun­g aus beziehungs­weise sind auf die Streitlust der Bevölkerun­g zurückzufü­hren“, stellt Richterin Dr. Claudia Kögel klar.

Auch kuriose Fälle gibt es im Alltag eines Richters. Koch nennt ein Beispiel: „Ein Fahrradfah­rer klagte gegen einen Landwirt, weil er stürzte, nachdem nachts plötzlich eine Kuh auf die Straße gelaufen war.“

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