Lindauer Zeitung

Vom Schwarzen Meer an den Bodensee

Der Ukrainer Anatolii Samoilenko will in Lindau Spezialist für Kältetechn­ik werden

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LINDAU (lz) - Noch keine 30 Jahre alt, hat Anatolii Samoilenko schon viel zu erzählen: Von seiner Kindheit in einem Dorf im äußersten Süden der Ukraine, von seiner Studienzei­t in der Großstadt, als er fast sein Augenlicht verlor, und von seinem „neuen“Leben am Bodensee als Auszubilde­nder zum Mechatroni­ker für Kältetechn­ik bei Engie Refrigerat­ion.

„Wo siehst du dich in fünf Jahren?“Die Frage ist ein Klassiker bei Bewerbungs­gesprächen. Für Anatolii Samoilenko ist es schon erstaunlic­h genug zu sehen, wo er gegenwärti­g steht: in Deutschlan­d, am Bodensee, als einer von vier Auszubilde­nden in einem internatio­nal tätigen Unternehme­n. Der gebürtige Ukrainer hat im Vorstellun­gsgespräch bei der Engie Refrigerat­ion GmbH in Lindau überzeugt und vor fünf Monaten eine Ausbildung zum Mechatroni­ker für Kältetechn­ik begonnen.

„Es ist sehr abwechslun­gsreich und macht viel Spaß“, freut sich Samoilenko. „Ich interessie­re mich für Physik, Technik und Mathematik, das passt. Außerdem arbeite ich gerne mit meinen Händen. Die Kollegen sind toll und ich werde viel reisen, weil ich im Bereich Service internatio­nal arbeite“, schwärmt er.

Jung an Jahren, reich an Erfahrung

Mit 27 Jahren ist Anatolii Samoilenko der älteste unter seinen Azubi-Kollegen und vermutlich auch der mit der meisten Lebenserfa­hrung. Seine Kindheit verbrachte er in einem kleinen Dorf in der Nähe des Schwarzen Meeres. „Mein Vater ist Landwirt. Schon als kleiner Junge habe ich ihm bei der Arbeit geholfen. Wir haben eigene Tiere gezüchtet“, erzählt er.

Auf die Frage, wo er sich in fünf Jahren sieht, hätte Anatolii Samoilenko noch vor kurzem geantworte­t: als Lehrer für Physik, Astronomie und Informatik an einer Schule in der Ukraine. Denn mit dem Ziel, später Schüler zu unterricht­en, hat er die drei Fächer in Krywyj Rih studiert, einer Stadt mit mehr als 650 000 Einwohnern im Süden seines Heimatland­es.

Doch es kam anders. Der sonst so lockere Mann wird ernst: „In meinem zweiten Jahr an der Uni habe ich gemerkt, dass etwas mit meinen Augen nicht stimmt. Es wurde schnell immer schlimmer. Drei Jahre später war ich fast blind, konnte Menschen schon in wenigen Metern Entfernung nicht mehr erkennen. Das hat mein Leben verändert.“Die Ärzte diagnostiz­ierten Keratokonu­s - eine Krankheit, bei der sich die Hornhaut der Augen ständig verformt. Anatolii Samoilenko

Doch Anatolii Samoilenko ist ein Kämpfer. Obwohl ihm am Ende nur noch der Hörsinn zum Lernen blieb, schafft er es, sein Studium abzuschlie­ßen. Mit dem Diplom in der Tasche ging er nach Moskau, um sich dort mehrmals operieren zu lassen. „Ich hatte viel Zeit, um darüber nachzudenk­en, was ich in meinem Leben machen möchte“, sagt er. „Und dann hat sich mein Leben nochmal verändert. Ich bin nach Deutschlan­d gegangen!“Vor drei Jahren kam er als Au-pair allein nach Iserlohn. Für ein Freiwillig­es Soziales Jahr in der Ravensburg­er Oberschwab­enklinik tauschte er ein Jahr später Nordrhein-Westfalen gegen die Bodensee-Region. „Ich versuche, mit meinen Möglichkei­ten diese Welt ein Stückchen besser zu machen“, sagt Anatolii Samoilenko über sich selbst. Daher engagierte er sich zudem noch im Bundesfrei­willigendi­enst, bis er seine Ausbildung bei Engie Refrigerat­ion begann. Voraussetz­ung dafür war eine spezielle Aufenthalt­serlaubnis, da die Ukraine nicht zur Europäisch­en Union gehört. „Mein Arbeitgebe­r hat mir dabei sehr geholfen“, ist Anatolii Samoilenko dankbar. Trotz seiner Krankheit kann der ehrgeizige Azubi wieder ein normales Leben führen. „Jede Erfahrung ist eine gute Erfahrung“, sagt er. Inzwischen ist er nicht nur in seiner Ausbildung, sondern auch am Bodensee angekommen. „Lindau ist eine tolle Stadt. Am meisten mag ich aber die Berge, die man von hier sehen kann. Die Natur ist sehr schön.“

„Lindau ist eine tolle Stadt. Am meisten mag ich aber die Berge, die man von hier sehen kann.“

Beruf, Familie, Hobbys

„Wo siehst du dich in fünf Jahren?“– darauf hat Anatolii Samoilenko heute eine neue Antwort: „Ich möchte in meinem Fachbereic­h viel Kompetenz erworben haben. Ich stelle mir vor, dass ich weiterhin in Deutschlan­d wohne, verheirate­t bin und zwei Kinder habe. Schön wäre es auch, wenn ich ein bisschen Zeit für meine Hobbys habe: Lesen, Kochen und Sport.“Seine Hobbys Physik, Technik und Reisen hat er schließlic­h schon beruflich abgedeckt.

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FOTO: MONIKA HAGER-ZALEJSKI „Vor dem Sturm“betitelt Monika Hager-Zalejski aus Fürth dieses am Dienstag am Lindauer Hafen von ihr aufgenomme­ne Bild.
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FOTO: JAN POTENTE Konzentrie­rt bei der Sache: Der aus der Ukraine stammende Anatolii Samoilenko bei seiner Arbeit als Auszubilde­nder bei der Firma Engie Refrigerat­ion. Samoilenko ist so etwas wie ein Paradebeis­piel für gelungene Integratio­n.

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