Neue Horizonte
Pyeongchang verbindet mit den Spielen 2018 man anche Hoffnung – auf Touristen, auf Entspannung
Wörtlich übersetzt heißt Pyeongchang „Friede und Gedeihen“, was schön ist. Aber nicht den Ausschlag gegeben hat am 6. Juli 2011 in Durban. Um 17.18 Uhr öffnete der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge den Umschlag. Pyeongchang, verkündete der Belgier dann, werde die Olympischen Winterspiele 2018 ausrichten. Das Ergebnis tat weh. München vor allem, das mit 27 Stimmen ebenso das Nachsehen hatte wie das französische Annecy (sieben Stimmen). Im ersten Wahlgang gleich, in dem der südkoreanische 45 000-Einwohner-Bezirk 63-mal für spieletauglich befunden wurde von der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees. Dabei hatte München Kati Witt geboten, Franz Beckenbauer war gekommen, Nachhaltigkeit garantierte die Bewerbung. Pyeongchangs Konter aber saßen: zwei gescheiterte Versuche – gegen Vancouver und Sotschi –, das stetige Bemühen danach, alle IOCWünsche zu erfüllen, die kurzen Wege, das hübsche Motto. „New Horizons“hieß es, „Neue Horizonte“– und wer dahinter das Versprechen vermutete, dass, wem auch immer, neue Wintersportmärkte erschlossen werden könnten, lag so schlecht nicht. Ach ja, der Schnee? Kein Problem, klärte Bewerbungschef Cho Yang-ho auf: „Wir haben 498 Schneekanonen.“
Die eine oder andere wird dazugekommen sein seither, bei einem Gesamtbudget von umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro. Dazugekommen sind sechs der zwölf Wettkampfstätten (80 Prozent der Sportler erreichen die in weniger als zehn, der Rest in 30 Minuten), ein „Mountain“und ein „Coastal Cluster“gibt es. Berge und Küste, das kennt man aus Sotschi. Gangneung heißt die Stadt am Japanischen Meer, in der die Kufendisziplinen ihren Platz haben. Und damit auch Shorttrack, Südkoreas Nationalsport. Die Protagonisten heißen Shim Suk-hee, Choi Min-jeong, Kim Ji-yoo oder Hwang Dae-hon; für bis zu acht Medaillen sollten sie, so ist zu lesen, gut sein. Für kollektive Begeisterung überdies. Ob es die auch an den Alpinpisten geben wird, ist fraglich; generell lief/läuft der Ticketverkauf eher schleppend. Laut Organisationskomitee POCOG haben bis Mittwoch 799 000 Eintrittskarten einen Abnehmer gefunden. Für POCOG-Chef Lee Hee-beom ein Alarmsignal. Man stecke „fest bei 75 Prozent“und werde jetzt „die Anstrengungen verdoppeln“. 1,18 Millionen Ticktes sind verfügbar, 1,07 Millionen sollten in den offenen Verkauf gehen.
Auch, und vor allem im Großraum Seoul. Dort lebt rund ein Drittel der 51 Mil-
lionen Südkoreaner, sie sind es, die mittels Hochgeschwindigkeitszug KTX (auf neu erbauter Trasse) erst auf die Tribünen, später an die Lifte gelockt werden sollen. Gangwon, die Provinz, in der Pyeongchang und Gangneung liegen, hat 1,5 Millionen Einwohner, gilt als die ärmste des Landes. Der Bezirk Pyeongchang lebt zu 50 Prozent von der Landwirtschaft (Rinderzucht, Gemüse-, Rettich-, Mais- und Kartoffelanbau), 40 Prozent der Wirtschaftsleistung steuert der Tourismus bei. Hier liegen viele Hoffnungen auf den Tagen vom 9. bis 25. Februar, Hoffnungen auch auf langzeitige Effekte.
2011 noch 92 Prozent Zustimmung
Dafür kann man schon einmal Opfer bringen. Für die Abfahrtsstrecke etwa, von Pistendesigner Bernhard Russi beim Hubschrauberflug über das Taebaek-Gebirge nur unter Mühen entdeckt. Mindest-Höhenunterschiede schreibt das Reglement vor, da dauerte die Suche. Am 1561 Meter hohen Mount Gariwang wurde der Schweizer schließlich fündig, der Start der Jongseon-Strecke liegt nun auf 1370 Metern, mit 2852 Metern ist sie eher kurz geraten. Länger ging nicht: Auf dem Gipfel des Gariwang steht einer der letzten Birkenwälder Koreas. Und rund 58 000 bis zu 500 Jahre alte Bäume waren bereits gefällt worden, darunter der seltene WangsasreBaum. Da mutet die Tatsache, dass 73 Prozent der bei den Spielen notwendigen Elektrizität durch erneuerbare Energie erzeugt werden sollen, beiläufig an. Da wundert es wenig, dass die Zustimmung in der Bevölkerung – bei der Vergabe 2011 bei unglaublich-unbayerischen 92 Prozent – merklich gesunken ist.
Bleibt die Politik. Links die tschechische Fahne, rechts die von Japan und Italien – und mittendrin die Nordkoreas. So war es am Donnerstag im Olympischen Dorf von Gangneung zu sehen, bei dessen feierlicher Eröffnung. Verbote gibt es normalerweise in Südkorea, die Flagge des nördlichen Nachbarn wehte aufgrund einer Ausnahmeregelung. Ob die Entsendung von 22 Sportlerinnen und Sportlern aus Pjöngjang nach Pyeongchang ein erster Schritt in Richtung Entspannung ist? „Wir versuchen, das meiste aus dieser Möglichkeit zu machen und diese Teilnahme so reichhaltig und robust wie möglich zu gestalten“, hat Südkoreas Außenministerin Kang Kyung-wha am Rande des Davoser Weltwirtschaftsforums gesagt. Pyeongchang heißt „Friede und Gedeihen“.
Sie schreiben es „PyeongChang“in olympischen Zeiten. Möge niemand auf die Idee kommen, die Jugend der Welt treffe sich in Pyongyang (Pjöngjang).