So liest man Gedichte für junge Menschen
Philipp Hochmair und die Elektrohand Gottes feiern die Klassischen Balladen
LINDAU - So hat man Schillers und Goethes Balladen wohl noch nie gehört: so frisch, so laut, so modern. Und das, obwohl Philipp Hochmair nicht ein Wort geändert hat. Er sagt die mehr als 200 Jahre alten Texte allerdings nicht einfach auf, sondern bringt sie mit Elektrobeats in eine zeitgemäße Form. Die Zuschauer im Stadttheater waren begeistert.
Ältere Menschen können diese Texte zumeist auch selbst noch aufsagen. Wer aber nach 1970 geboren ist, dem sagen „Bürgschaft“, „Erlkönig“oder „Glocke“meist kaum mehr was. Man weiß noch, dass es da diese langen Gedichte gibt, die man mal lernen musste. Meist weiß man nicht mal mehr, ob das jetzt von Goethe oder Schiller war. Deutschlehrer schaffen es kaum, dass Schüler sich überhaupt mit diesen Texten in etwas altertümlicher Sprache befassen. Dabei enthalten sie so viel Energie. Das zu zeigen, ist das Verdienst von Hochmair und der Elektrohand Gottes. „Weil ich die Energie verkünden will. Ich will der Poesie meine Stimme verleihen“, begründet der 44-Jährige nach der Vorstellung im Publikumsgespräch die Idee dieses Abends: „Dass man die verstaubten Texte als Energiequelle wahrnimmt.“Der normale Theaterbetrieb langweile ihn, wenn jeder Schritt und jede Geste genau festgelegt sind und er sie Abend für Abend auf der Bühne wiederholen soll. Aber er kann nicht von der „Droge Sprache“lassen und sucht sich deshalb neue Projekte. Lindau hat dabei für ihn den Vorteil, dass er ausprobieren kann. So hat er auch diesen Balladenabend bisher in dieser Form nicht oft gezeigt. Und fertig ist er erst, wenn er die „Glocke“bis zum letzten Vers auswendig kann, und wenn er auch den „Zauberlehrling“im Programm hat. Und vielleicht fehlt ja auch noch was.
Fast zwei Stunden füllt Hochmair, der erst vor der Bühne „Der Ring des Polykrates“vorträgt. Zwar ist auch das natürlich anders als das aus dem Deutschunterricht bekannte Geleiher gelangweilter Schüler. Dennoch zeigt sich die Meisterschaft des Könners – und des Textes – als er auf der Bühne steht und zu den Elektrobeats den Text wiederholt.
Hochmair tritt auf mit Ringen an fast allen Fingern, dicken Goldkreuzen um den Hals, mit Tarnhose, orangem T-Shirt und Sakko. Er sieht aus wie ein Raver auf der Technoparty oder ein Rapper. Aber er verströmt so viel mehr Energie mit seinem Sprechen. Denn singen kann er nach eigener Einschätzung nicht, deshalb lässt er es. Aber dem Zuhörer erscheint sein Auftritt fast als Sprechgesang, wie er bei zeitgenössischen Musikern als cool gilt.
Aber während die sich mühen müssen, weil sie kaum was zu sagen haben, vertraut Hochmair auf die Kraft der alten Dichter. „Das Lied von der Glocke“, „Die Bürgschaft“, „Der Taucher“, „Der Handschuh“, „Der Ring des Polykrates“, „Der Erlkönig“und als Zugabe „Der Totentanz“enthalten alles, was das Menschsein spannend macht. Liebe und Tod, Hoffnung und Verzweiflung, Vertrauen und Verrat, Neid und Übermut, Stolz und Gewalt – da steckt wirklich alles drin.
Viele Sitze bleiben leer
Leider bleiben im Theater viele Sitze leer. Vielleicht hätte das Kulturamt in der Ankündigung nicht vor Lärm warnen sollen. Denn tatsächlich sind „Elektrohand Gottes“manchmal etwas zu laut ausgesteuert im Vergleich zu Hochmairs Stimme, auch wenn der die ab und zu mit dem Megaphon verstärkt. Zugleich aber sind die Elektromusiker Jörg Schittkowski, Tobias Herzz Hallbauer und Alwin Weber für die leisen Momente des Abends zuständig. Zum Erstaunen der Zuhörer entlocken sie dabei nicht nur ihren Computern verschiedene Klänge, sondern zaubern diese auch aus Fahrradspeichen und anderem Mitgebrachten.
Wenn Hochmair mit einem seiner Programme 2019 wiederkommt, sollten viele Deutschlehrer sich eine Karte besorgen und möglichst sogar Schüler mitbringen. Denn so haben die einen der vermeintlich langweiligen Texte noch nie gehört. Und wenn sie den in solcher Weise präsentieren dürften, dann wäre der Deutschunterricht für sie vielleicht wieder interessant. Denn Hochmair führt vor, wie man sich da verausgaben kann, wie viel Spaß das machen kann. Deshalb zeigt am Schluss nicht nur das Publikum seine Freude mit langem Beifall, sondern auch Hochmair ruft mehrfach „Danke, Lindau!“Denn überall kann er sowas auf der Bühne nicht ausprobieren.