Baustelle Kirche
Es werden viele Gotteshäuser renoviert - Kosten überschreiten auch die Millionengrenze
ALLGÄU - Eine böse Überraschung war das für den katholischen Pfarrer Roland Buchenberg und viele Gläubige: Im Oktober 2017 hatte die Diözese Augsburg nach einer Sicherheitsprüfung angeordnet, die Martinskirche in Waltenhofen (Oberallgäu) sofort zu schließen. Der Grund: Experten hatten verdächtige Risse an der Decke entdeckt.
Ein Szenario wie in Vorderburg (Oberallgäu) sollte sich keinesfalls wiederholen. Dort war im Mai vergangenen Jahres während des Gottesdienstes ein großes Stück Deckenputz auf eine voll besetzte Kirchenbank gefallen. Fünf Menschen wurden dabei verletzt. Ähnliches geschah vor zwei Jahren in der St.-Ulrich-Kirche in Seeg (Ostallgäu). Dort platzte ein Teil des Deckenfreskos ab, zu Schaden kam aber niemand.
Seit Dezember ist die Kirche in Waltenhofen wieder für Gottesdienste geöffnet – ansonsten bleiben die Türen aber weiter geschlossen. Im Inneren füllt jetzt ein Gerüst den Kirchenraum aus. Es sichert die Decke ab, damit kein Putz abbröckeln kann. „Die Kirchenpfleger bemühen sich, das Gotteshaus trotzdem ansprechend zu gestalten“, sagt Pfarrer Roland Buchenberg. Aber natürlich sei das Ganze eine erhebliche Einschränkung.
„Dass sich Teile von Kirchendecken lösen, hat es immer wieder gegeben. Diese Fälle treten derzeit nicht gehäuft auf“, sagt Dr. Karl-Georg Michel, Sprecher des Bistums Augsburg. Sicherheitsprüfungen sollen solche Vorfälle vermeiden. Dennoch: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“
Mal ist es das Alter der Gotteshäuser, mal ist es das Baumaterial, das bei Arbeiten in den vergangenen Jahrzehnten zum Einsatz kam – Fakt ist: Im Allgäu werden zurzeit viele Kirchen saniert. „Während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bei Sanierungs- und Neubaumaßnahmen oft minderwertige Materialien verwendet und aus Kostengründen nur das Allernötigste saniert“, sagt Johannes Minkus, Pressesprecher der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. In den Dekanatsbezirken Memmingen und Kempten gab es in den vergangenen fünf Jahren 57 Sanierungen. Die Kosten für diese Baumaßnahmen lagen bei über 16 Millionen Euro. 13 evangelische Kirchen werden derzeit noch saniert, darunter die Christuskirche in Lindau und die Dreifaltigkeitskirche in Kaufbeuren. Das Bistum Augsburg sieht keine Häufung bei renovierungsbedürftigen Kirchen. „Wir haben einen wiederkehrenden Sanierungs- und Instandsetzungsbedarf“, sagt Michel. 2017 gab es im Allgäu 36 Sanierungen mit jeweils mehr als 30 000 Euro Baukosten. Schnell überschreiten die Kosten für eine Sanierung aber auch mal die Millionengrenze.
Gottesdienst auf dem Marktplatz
Ein gutes Beispiel dafür ist die gotische Martinskirche in Memmingen, die für 5,5 Millionen Euro saniert wurde. Seit 2014 war das Gotteshaus eine Baustelle. Das hatte auch Auswirkungen auf den Kirchenalltag. Bei Hochzeiten und wichtigen Gottesdiensten mussten die evangelischen Gläubigen auf ihre Kirche verzichten. Die Konfirmation fand in der katholischen Josefskirche statt, erzählt Dekan Christoph Schieder – ein tolles Beispiel für gelebte Ökumene. Die Messe an Heiligabend feierten die Memminger sogar mitten auf ihrem Marktplatz. „Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht“, sagt Schieder. Eine weitere Hürde ist die Finanzierung solcher Projekte. 1,2 Millionen Euro musste die Kirchengemeinde St. Martin selbst aufbringen, großteils durch Spenden. „Etwa ein Drittel fehlt noch. Aber das ist überschaubar“, sagt Schieder. Die Landeskirche unterstützt Gemeinden mit einem Sanierungsfonds – in Schieders Augen Grund für die vielen Sanierungen derzeit.
Auch an der barocken Basilika St. Lorenz in Kempten hat der „Zahn der Zeit“genagt – Außenfassade und Putz sind stark verwittert, auch an der Statik muss nachgebessert werden. An die eingerüstete Kirche müssen sich die Kemptener daher gewöhnen, denn die Renovierung soll bis 2021 dauern. Kostenfaktor: über sechs Millionen Euro.
Wird ein Gotteshaus wieder auf Vordermann gebracht, sind viele Fachleute gefragt – vom Statiker bis zum Zimmerer, Stuckateur und Kirchenmaler. Das Auftragsbuch von Kirchenrestaurator Günter Hörmann aus Ruderatshofen (Ostallgäu) ist voll. Schwachstellen in den Gotteshäusern sind aus seiner Sicht meist die Innenräume. „Die Bankheizungen wirbeln Schmutz auf, der sich dann ablagert.“Häufig platze auch der Putz im Sockelbereich weg. Das liege an der Feuchtigkeit durch das Erdreich. Nicht selten ist Hörmann wie ein Detektiv auf Spurensuche. Dann kratzt er mit einem Skalpell die verschiedenen Farbschichten an den Wänden ab, um für die Sanierung der Originalfarbe auf die Spur zu kommen.