Wissenschaft ist kein Privileg der Experten
Hobbyforscher liefern oft wertvolle Erkenntnisse
WILDBERG (dpa) - Sie zählen Vögel im Garten, messen Feinstaub in der Stadt und suchen nach Sternen am Himmel: Im Dienste der Forschung engagieren sich viele Laien als sogenannte Bürgerwissenschaftler. Manche von ihnen sind so gut, dass sie gefragte Experten auf ihrem Gebiet sind.
Sobald am Abend die letzten Wolken schwinden, geht Rolf Apitzsch aus Wildberg (Landkreis Calw) auf himmlische Jagd. Mit einem Teleskop geht er dann in seine selbstgebaute Sternwarte, zielt in den Nachthimmel und legt sich vor seinem Computerbildschirm auf die Lauer. Hunderte Bilder schießt er und wenn er Glück hat, sind darauf Asteroiden, kleine Gesteinsbrocken zu sehen – Millionen von Kilometern entfernt, aber manchmal doch so nah, dass sie der Erde gefährlich werden könnten. Wie etwa im Oktober 2008, als ein Asteroid gen Erde stürzte und Apitzsch die Verfolgung aufnahm.
Rolf Apitzsch ist Hobby-Astronom, sein Geld hat der 74-Jährige als Computertechniker verdient. Seit er im Ruhestand ist, betreibt er jedoch Astronomie auf einem Niveau, das ihn für Außenstehende wie einen Profi wirken lässt. Für das Geld zweier Mittelklassewagen setzte Apitzsch sich vor zwanzig Jahren ein Observatorium in den Garten. Seitdem hat er 505 Asteroiden entdeckt, 72 sind schon offiziell bei der Internationalen Astronomischen Union (IAU) registriert, 20 davon von ihm persönlich getauft. So kommt es, dass zwischen all den Sternen auch seine Frau und sein Zahnarzt verewigt sind.
125 000 zählten im Januar Vögel
Wie viele Hobbyforscher es in Deutschland gibt, lässt sich kaum sagen. Mehrere Hunderttausend dürften es aber sein. Allein bei der Aktion „Stunde der Wintervögel“des Naturschutzbundes (Nabu) machten Anfang Januar rund 125 000 Menschen mit und zählten mehr als drei Millionen Vögel in Gärten und Parks. „Damit wir auf bundesweit valide Daten kommen können, brauchen wir die Hobbyforscher. Ohne sie würde das nicht gehen“, sagt Nabu-Vogelschutzreferent Eric Neuling.
Projekte wie diese werden oft unter der Bezeichnung „Citizen Science“gefasst. Wissenschaft ist dabei kein Privileg der Profis mehr. Jeder kann mitmachen, egal ob beim Hasenzählen, Feinstaubmessen oder Transkribieren historischer Dokumente. Besonders seit dem Smartphone-Zeitalter nehmen die Möglichkeiten ständig zu. Allein auf der Internetplattform „Bürger schaffen Wissen“werden derzeit etwa 70 Forschungsprojekte angeboten.
Erfolgreiche Hobby-Astronomen wie Apitzsch zeichnen sich durch ihr explizites Fachwissen aus, das sie sich meist selbst und aus reiner Neugier angeeignet haben. Legt man die Anzahl der entdeckten Asteroiden zugrunde, belegt Sternengucker Apitzsch in Deutschland mittlerweile Platz acht in der Rangliste, bei den hobbybetriebenen Observatorien landet er sogar auf Platz zwei.
„Amateure können heute das leisten, was Profis vor zwanzig Jahren machen konnten“, sagt Apitzsch. Wie 2008, als er mit anderen Amateuren US-Profis half, einen Asteroiden aufzuspüren, der in Richtung Erde schoss und letztlich im Sudan einschlug. Nur dank des Engagements von Menschen wie Apitzsch ließ sich der Einschlagsort auf hundert Kilometer genau eingrenzen.
Aber auch in vielen anderen Bereichen hat sich die Zusammenarbeit zwischen Forschern und Bürgerwissenschaftlern bewährt: Im vergangenen Jahr machte eine Gruppe von Insektenkundlern auf sich aufmerksam, als ihre Meldung von einem dramatischen Insektensterben durch die Medien ging. Wissenschaftler warnten, dass es immer weniger Bienen, Mücken und andere Krabbeltiere gebe. Vermutet hatten sie das schon lange, beweisen konnten sie das erst mithilfe von Daten, die der ehrenamtlich geführte „Entomologische Verein Krefeld“sammelte.
Martin Sorg, Vorstandsmitglied des Vereins, sieht die Bezeichnung „Hobbyforscher“deswegen kritisch. „Besonders in der Insektenkunde ist der Übergang zum Experten fließend. Egal ob Uni-Abschluss oder nicht, Hobbyforscher haben oft schon nach einer gewissen Zeit ein Spezialwissen, das man bei keiner universitären Biologen-Ausbildung erwerben kann.“
Auch Peter Finke, emeritierter Professor für Wissenschaftstheorie und Experte für „Citizen Science“, plädiert schon seit Jahren für mehr Anerkennung der Amateurforscher. „Das Wissen der Laien wird in der Wissenschaft noch immer unterschätzt.“Dabei könne die Amateurwissenschaft elementare Basiswissenschaft betreiben, für die die Universitäten und Institute oft kein Geld übrig hätten.