Überfall: Opfer leidet heute noch
Nach einem Raub in Kempten sitzen vier junge Männer auf der Anklagebank
KEMPTEN - Der brachiale Überfall hat nur zwei Minuten gedauert: In dieser kurzen Zeit hatten vier junge Litauer im Alter zwischen 22 und 26 Jahren im Juli vergangenen Jahres bei einem Juwelier in der Kemptener Innenstadt teure Uhren im Wert von mehr als 390 000 Euro erbeutet. Einige teure Stücke im Wert von 166 000 Euro sind laut Staatsanwaltschaft bis heute nicht mehr aufgetaucht. Der Rest wurde gefunden. Die tatverdächtigen Männer waren noch am selben Tag festgenommen worden.
Die mutmaßlichen Täter müssen sich nun vor dem Kemptener Landgericht verantworten. In dem Verfahren gelten verschärfte Sicherheitsbestimmungen. Einer der Angeklagten muss wegen Fluchtgefahr während der gesamten Gerichtssitzung Fußfesseln tragen.
Am ersten Verhandlungstag legten alle Angeklagten ein Geständnis ab. Vieles spricht dafür, dass die kriminellen Aktivitäten von einer bandenmäßig strukturierten Gruppierung mit Sitz in Litauen ausgehen. Die Angeklagten seien letztlich nur kleine Rädchen im Getriebe, sagte ein Anwalt in einer Verhandlungspause. So wollte auch keiner der Männer Angaben dazu machen, wer sie in Litauen angeworben hatte. Einer der Angeklagten sagte, ihm seien für den Überfall 5000 Euro versprochen worden. Er habe das Geld gebraucht, um Schulden zu tilgen.
20-Jährigen niedergeschlagen
Auf einem Video der Überwachungskamera ist zu sehen, wie die vier Männer das Juweliergeschäft stürmen und einen 20 Jahre alten Auszubildenden niederschlagen. Dieser musste sich danach in ärztliche Behandlung begeben. Er leidet heute, nach eigenen Worten, aber nicht mehr unter dem Vorfall.
Ganz anders erging es einer 46-jährigen Frau, die während des Überfalls als Kundin in dem Geschäft war. Sie habe in der Folge unter Panikattacken und Schlafstörungen gelitten, schilderte die Oberallgäuerin, die von ihrer Ärztin Psychopharmaka verschrieben bekam. Bis heute sei ihr „Sicherheitsgefühl stark eingeschränkt“. Die Frau sagte dem Gericht: „Mein Leben ist anders geworden.“Beispielsweise meide sie jetzt nächtliche Fahrten zu einer Tankstelle. Und beim Geldabheben an einem Automaten sei sie besonders vorsichtig. Weniger stark litt nach eigenen Angaben eine 41 Jahre alte Verkäuferin nach der Tat. Doch auch sie sagte, beim Aufsperren der Türe des Verkaufsraums habe sie manchmal heute noch ein beklemmendes Gefühl. Eine Kollegin von ihr berichtete im Zeugenstand, ihr gelinge es, im Alltag das Erlebte zu verdrängen. „Doch wenn man darüber spricht, kommt alles wieder hoch“, schilderte die 52 Jahre alte Einzelhandelskauffrau.
Gegenüber allen Opfern entschuldigten sich die Täter einzeln. „Es tut mir von Herzen leid“, ließ jeder über die Dolmetscherin wissen. Einer von ihnen bat ausdrücklich um „eine milde Strafe auch im Namen meiner Familie“. Zwei Angeklagte berichteten von Alkohol- und Rauschgiftproblemen. Am Tag vor dem Überfall hatte der Uhrmachermeister des Juweliergeschäfts zwei verdächtige Männer beobachtet, die von einer Sitzbank aus das Geschäft beobachteten.
Er hatte die beiden Männer fotografiert, und mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um zwei der jetzt auf der Anklagebank sitzenden Männer. Der Strafprozess wird heute fortgesetzt.