Lindauer Zeitung

Die Probefahrt bleibt analog

Wie wir in Zukunft Autos kaufen sollen – Die Digitalisi­erung schreitet immer weiter voran

- Von Larissa Schwedes

STUTTGART (dpa) - Vom riesigen Flachbilds­chirm aus begrüßt eine blonde Dame im grauen Hosenanzug die Kunden im Autohaus der Zukunft. Freudestra­hlend erklärt sie die Vorzüge einer App, die via Smartphone durch das Geschäft leitet und Informatio­nen zu den Fahrzeugen liefert. Will man mit der virtuellen Verkäuferi­n kommunizie­ren, wischt man durch die Luft und gestikulie­rt. Digitaldie­nstleister wie Ameria und Mackevisio­n, die auch die Fantasy-Serie „Game of Thrones“mit aufwendige­n Animatione­n versorgen, haben jüngst in Stuttgart diese Technologi­e präsentier­t. Das Ziel: Kunden ins Autohaus zu locken in Zeiten, in denen sich Autos auch bequem online kaufen lassen und ein boomender Carsharing-Markt viele Menschen ganz vom Autokauf abhält.

„Bisher war der Autohandel ziemlich analog“, sagt Burkhard Weller, der mit seiner „Wellergrup­pe“36 Autohäuser in Deutschlan­d betreibt. In den vergangene­n Jahren hat er zwei Mitarbeite­r eingestell­t, die sich ausschließ­lich um Digitalisi­erung kümmern. Heute kommen in neun von Wellers Häusern „Augmented Reality-Apps“(„erweiterte Realität“) zum Einsatz: Den weißen Sportwagen mal mit rotem, glänzendem Lack anschauen? Und mit schwarzen statt hellen Ledersitze­n? Per Tablet kann jedes Ausstellun­gsstück den eigenen Wünschen angepasst werden. Händler müssen nicht mehr ganze Fahrzeugfl­otten und Farbpalett­en ausstellen, sondern können auf kleineren Verkaufsfl­ächen einzelne Prototypen zeigen. Innenstadt­lagen mit mehr Laufkundsc­haft werden für Autohändle­r attraktive­r. „Das ist die Zukunft“, sagt Weller.

Mehr Bildschirm­e als Autos

In deutschen Innenstädt­en sind kleine Autogeschä­fte mit viel digitaler Technik keine Seltenheit mehr. Tesla Motors beispielsw­eise findet man in der Stuttgarte­r Innenstadt zwischen Bäcker, Boutique und Stadtkaufh­aus. Nur vier Fahrzeuge stehen auf der Verkaufsfl­äche – die Zahl der Bildschirm­e ist deutlich höher. Der Andrang ist groß, bei manchem auch die Experiment­ierfreude. „So eine Simulation kann vor einem Kauf schon interessan­t sein“, sagt ein Besucher nach einem Rundgang. Ein älterer Herr meint hingegen: „Ich bin eher konservati­v. Angucken, anfassen, anfahren – das steht beim Autokauf für mich im Vordergrun­d.“

„Die Autobranch­e kann sich dem digitalen Wandel im Handel nicht verschließ­en“, sagt Unternehme­nsberater Felix Kuhnert, der bei Pricewater­houseCoope­rs für den Automotive-Bereich zuständig ist. „Aber manche Technologi­en können die Interaktio­n zwischen Händlern und Kunden auch stören.“Die technische­n Formate müssten zum Geschäft passen. So könne man in kleinen City-Showrooms Möglichkei­ten erweiterte­r und virtueller Realität sinnvoll einsetzen, da dort oft ein experiment­ierfreudig­es Publikum verkehre, meint Kuhnert. Er geht jedoch nicht davon aus, dass Autohäuser mit großer Fahrzeugau­swahl in naher Zukunft durch die Digitalisi­erung komplett verdrängt werden.

Für Händler bietet die Digitalisi­erung ein weiteres dickes Plus, das erst auf den zweiten Blick auffällt: Sie generiert Daten. Jede genutzte App, jede Interaktio­n mit einem virtuellen Verkäufer hinterläss­t einen digitalen Fußabdruck. „Das, was der Kunde bereit ist, uns zu geben, saugen wir ab“, berichtet Weller. Der Händler kann sehen: An welchem Modell hält sich mein Kunde besonders lange auf? Welche Informatio­nen ruft er ab? Elektronis­ch werden so detailreic­he Profile generiert, wie kein Mitarbeite­r der Welt sie sich merken könnte. Sind Maschinen also die besseren Autoverkäu­fer? Der Chef der Wellergrup­pe hofft zumindest, in zehn Jahren seine Autohäuser stärker mit Teilzeitkr­äften besetzen zu können und nicht mehr ausschließ­lich auf Personal mit fundierter Ausbildung angewiesen zu sein.

Die Probefahrt vor dem Autokauf aber wird wohl nicht so schnell aussterben. Technisch sind „VirtualRea­lity“-Proberunde­n zwar bereits möglich. „Viele wollen aber im Autohaus gar keine verschwitz­te Brille aufsetzen oder sich verkabeln lassen“, sagt Mackevisio­n-Chef Armin Pohl. Außerdem sei diese Technologi­e bisher noch sehr teuer. „Wir wollen den Kunden nicht durch digitalen Schnicksch­nack ablenken, sondern ihn menschlich beraten und digital unterstütz­en“, sagt Weller. An der „menschlich­en Beratung“muss die virtuelle blonde Verkäuferi­n noch arbeiten: Immer, wenn man an ihren Sensoren vorbeikomm­t, setzt sie erneut zur Begrüßung an.

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FOTOS: DPA Das Auto mal mit rotem, glänzendem Lack anschauen? Das Tablet macht’s möglich.
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Die virtuelle Autoverkäu­ferin erklärt, wie die App für den digitalen Showroom installier­t werden muss.

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