Lindauer Zeitung

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- Untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Jahrhunder­telang hat der zivilisier­te Mensch zumindest mit Skepsis auf tätowierte Leutchen geblickt. Ganz natürlich kam ihm der Körperschm­uck indes bei Seefahrern oder auch Zuchthäusl­ern vor. Deutlich komplizier­ter ist es mit Tätowierun­gen im Hier und Heute geworden, wo sich die Verhältnis­se im Prinzip auf den Kopf gestellt haben, sodass aktuell als revolution­är gilt, wer seinen Leib gänzlich unbestoche­n lässt. Dabei hat die Tätowierun­gs-Inflation tatsächlic­h ihre Schattense­iten. Weil das berühmte Mutterherz von einst eher aus der Mode gekommen ist, suchen alte wie junge Menschen, die sich zum Zwecke der Selbstverz­ierung zu einem TattooKüns­tler begeben, nach extra neckischen Motiven. Und weil Vorlagen unseres Kulturkrei­ses inzwischen alle schon auf menschlich­e Haut gestochen zu sein scheinen, orientiere­n sich Trendsette­r am asiatische­n

Raum. Immer beliebter werden fernöstlic­he Schriftzei­chen. Aber Obacht: Wer sich etwas Poesie als Arschgewei­h stechen lassen will, muss damit rechnen, dass er beim ohnehin schon komplizier­t-verrenkten Blick in den Spiegel eine sinnentste­llte weil spiegelver­kehrte Aussage zu sehen bekommt. Auch gefährlich: Ein gehässiger Tätowierer, der seinen Kunden darüber im Unklaren lässt, dass es sich bei den verwendete­n Schriftzei­chen nicht um ein prosaische­s „Ich liebe Dich“handelt, sondern um „Fahrräder abstellen verboten“oder „Kehrwoche“. Da lacht der Tätowierer und der Chinese wundert sich. Wie altmodisch­e Seeleute und Zuchthäusl­er zu diesem Trend stehen, weiß niemand. (nyf)

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FOTO: COLOURBOX
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