Eigenes Ministerium
Der Begriff „Heimat“hat plötzlich wieder Konjunktur
BERLIN/ZIRNDORF (dpa) - Das Bundesinnenministerium soll um die Zuständigkeit für „Heimat“erweitert werden. Warum hat ein Wort, das für viele Leute altbacken klingt, zurzeit wieder Konjunktur?
Manche denken bei dem Wort nur an Heimatfilm, heile Welt, Kitsch, 50er Jahre – der Spott in sozialen Netzwerken folgte prompt. Vom „Kniefall vor Rechtspopulisten“schrieben einige. Andere denken bei Heimat aber vor allem an Familie, Freundschaft, Kindheit, an Omas Apfelkuchen oder das Bier in der Stammkneipe.
Laut „Duden“ist Heimat „ein Land, Landesteil oder Ort“, in dem man geboren und aufgewachsen ist oder sich zu Hause fühlt. Es sei ein gefühlsbetonter „Ausdruck enger Verbundenheit“gegenüber einer Gegend. Das Wort wirkte lange verpönt – außer beim Filmemacher Edgar Reitz und der Familien-Saga „Heimat“. Zurzeit erlebt es ein Comeback.
Zwei Bundesländer haben bereits Ministerien mit der Bezeichnung Heimat: In Bayern ist es seit 2014 unter Markus Söder beim Finanzministerium angebunden, in NordrheinWestfalen unter Ina Scharrenbach wird das Wort seit 2017 sogar als Erstes im Titel geführt: „Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung“.
Auch Bundespräsident FrankWalter Steinmeier griff das Trendwort am Tag der Deutschen Einheit auf. „Ich bin überzeugt, wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern“, sagte er. „Im Gegenteil: Je schneller die Welt sich um uns dreht, desto größer wird die Sehnsucht nach Heimat.“Das dürfe man nicht den Nationalisten und dem rechten Rand überlassen. Heimat sei ein Ort des „Wir“, ein Ort, der verbinde.
Kontroversen bei den Linken
Linke oder sich als links verstehende Leute tun sich oft schwer mit dem Wort. Katrin Göring-Eckardt von den Grünen etwa löste nach der Bundestagswahl eine Art parteiinternen Mini-Shitstorm aus, weil sie sagte: „Wir lieben dieses Land. Es ist unsere Heimat. Diese Heimat spaltet man nicht“. Die Pressestelle verbreitete dies per Twitter. Göring-Eckardt reagierte mit einem Gastbeitrag in der „taz“: Gegen die „rechte Heimatschutzpropaganda“gelte es, „unbeirrt für ein offenes Verständnis von Heimat zu kämpfen“. Was die Parteilinke aber kaum beruhigte.
Auf dem Grünen-Parteitag Ende Januar wollte ein Ortsverband gar eine Heimat-Debatte anzetteln und das vermeintlich reaktionäre Wort (es ging um die bayerische Heimat mit Blick auf die Landtagswahl) aus dem Leitantrag des Vorstands werfen lassen. Dazu kam es nicht, weil die unumstritten linke Claudia Roth aus Bayern ein paar Worte mit den Antragstellern wechselte.
Dass Heimat wieder an Bedeutung gewinnt, hängt nach Ansicht der CSU-Politikerin Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, auch mit der hohen Zahl der Zuwanderer zusammen: „Unter anderem führt die weltweite Flüchtlingsproblematik dazu, dass der Begriff ,Heimat’ in der letzten Zeit eine Renaissance erlebt“, sagte sie am Dienstag vor rund 300 Landfrauen.
„Wir sehen, was andere aufgeben müssen und haben gleichzeitig Sorge, ein Stück unserer Heimat zu verlieren“, meinte sie beim Landfrauentag in Zirndorf, der das Motto „Heimat“trug. Die Menschen seien in Sorge, dass regionale Besonderheiten verloren gingen.
Kulturwissenschaftler sehen ganz grundsätzlich eine Suche nach Halt angesichts der Globalisierung, aber auch des Wandels der Geschlechterrollen oder des Generationenverhältnisses. Ein Gefühl des Kontrollverlusts führe zu einer Sehnsucht nach Identität.
Den Publizisten Christian Schüle wundert keineswegs, dass die CSU mit Horst Seehofer nun das Heimatministerium in den Koalitionsvertrag gebracht hat. „In Bayern war der Begriff ,Heimat’ schon immer wichtig, seit die Wittelsbacher dort zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus verschiedenen Stämmen und Gruppen ein bayerisches Wir-sind-Wir-Gefühl formten, das immer wieder mit Festen und Ritualen beschworen wird.“Schüle, der aus Friedrichshafen stammt, meint beobachtet zu haben: „Und wer das Wort Heimat nicht mag, der mag ja meistens auch Bayern nicht – und umgekehrt.“
Schüle, Jahrgang 1980, hat vergangenes Jahr das Buch „Heimat – Ein Phantomschmerz“veröffentlicht und lehrt an der Berliner Universität der Künste im Fachbereich Kulturwissenschaft. Seine These: „Über Heimat spricht man dann, wenn sie einem verloren geht. Und ich glaube, dass es in den vergangenen Jahren einige Heimatverluste gegeben hat.“Die klare Bipolarität von Ost und West, Kommunismus und Kapitalismus sei weg, durch die Computerisierung und die Globalisierung verschwinde ein bisschen die deutsche Sprache durch immer mehr Englisch. „Und in den ländlichen Räumen, egal ob in Baden-Württemberg oder Mecklenburg-Vorpommern, gingen Gasthäuser verloren, Buslinien wurden eingestellt, Clubhäuser, Vereinsräume: Dann entsteht so das Gefühl, selber weniger wert zu sein.“Auch die Schließung von Postämtern, Bankfilialen oder Bars und Stammkneipen verstärke diesen Eindruck.
Gefühl des Verlusts
Mit der Aufnahme der Flüchtlinge seien dann gefühlt auf einen Schlag viele Menschen gekommen, die aus Kulturkreisen stammten, die aus Sicht der Kritiker mit dem unsrigen nichts zu tun haben, sagt Schüle. „Und dann fangen die Leute an zu sagen, das sei ungerecht, hier geht mir die Heimat verloren und die Politik tut nichts.“Das seien oft sozialpolitische Ängste, die weniger mit dem Hass auf andere Menschen als vielmehr mit dem Gefühl des Verlusts des Eigenen zu tun hätten.
Er sieht den Begriff Heimat so angesagt, weil in Deutschland Wörter wie Vaterland, Nation und Volk belastet seien aus der NS-Zeit. „Um all das zu umgehen, aber trotzdem einen Begriff zu haben, der auf das gleiche Gefühl der Geborgenheit und Zugehörigkeit zielt, wird Heimat genommen.“Der ganze Trend habe auch mit der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland zu tun, zumindest sei mit der Fußball-WM ein gewisser Normalisierungsprozess in Sachen Nation damals verstärkt worden, auch wenn es nationalkonservative Sehnsüchte bis in die bürgerliche Mitte eigentlich immer gegeben habe. Jahrzehntelang seien sie aber nicht politisch repräsentiert worden. Jetzt werde sich darum vielleicht umso mehr gekümmert.
Und was sagt Horst Seehofer zu seinem neuen Job als Bundesinnenminister, ergänzt um die Bereiche Bauen und Heimat: „Wenn Sie das Netz anschauen, dann meint man jetzt wieder, es geht um Lederhosen und Dirndl“, sagte er am Donnerstag vor einer CSU-Vorstandssitzung in München. „Das auch – um die Kultur. Aber es geht natürlich um die gleichwertigen Lebensbedingungen in allen Regionen Deutschlands. Es geht um die richtige Dorfentwicklung, die Städteentwicklung, verbunden mit dem Wohnungsbau.“