Lindauer Zeitung

Eigenes Ministeriu­m

Der Begriff „Heimat“hat plötzlich wieder Konjunktur

- Von Gregor Tholl

BERLIN/ZIRNDORF (dpa) - Das Bundesinne­nministeri­um soll um die Zuständigk­eit für „Heimat“erweitert werden. Warum hat ein Wort, das für viele Leute altbacken klingt, zurzeit wieder Konjunktur?

Manche denken bei dem Wort nur an Heimatfilm, heile Welt, Kitsch, 50er Jahre – der Spott in sozialen Netzwerken folgte prompt. Vom „Kniefall vor Rechtspopu­listen“schrieben einige. Andere denken bei Heimat aber vor allem an Familie, Freundscha­ft, Kindheit, an Omas Apfelkuche­n oder das Bier in der Stammkneip­e.

Laut „Duden“ist Heimat „ein Land, Landesteil oder Ort“, in dem man geboren und aufgewachs­en ist oder sich zu Hause fühlt. Es sei ein gefühlsbet­onter „Ausdruck enger Verbundenh­eit“gegenüber einer Gegend. Das Wort wirkte lange verpönt – außer beim Filmemache­r Edgar Reitz und der Familien-Saga „Heimat“. Zurzeit erlebt es ein Comeback.

Zwei Bundesländ­er haben bereits Ministerie­n mit der Bezeichnun­g Heimat: In Bayern ist es seit 2014 unter Markus Söder beim Finanzmini­sterium angebunden, in NordrheinW­estfalen unter Ina Scharrenba­ch wird das Wort seit 2017 sogar als Erstes im Titel geführt: „Ministeriu­m für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstel­lung“.

Auch Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier griff das Trendwort am Tag der Deutschen Einheit auf. „Ich bin überzeugt, wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern“, sagte er. „Im Gegenteil: Je schneller die Welt sich um uns dreht, desto größer wird die Sehnsucht nach Heimat.“Das dürfe man nicht den Nationalis­ten und dem rechten Rand überlassen. Heimat sei ein Ort des „Wir“, ein Ort, der verbinde.

Kontrovers­en bei den Linken

Linke oder sich als links verstehend­e Leute tun sich oft schwer mit dem Wort. Katrin Göring-Eckardt von den Grünen etwa löste nach der Bundestags­wahl eine Art parteiinte­rnen Mini-Shitstorm aus, weil sie sagte: „Wir lieben dieses Land. Es ist unsere Heimat. Diese Heimat spaltet man nicht“. Die Pressestel­le verbreitet­e dies per Twitter. Göring-Eckardt reagierte mit einem Gastbeitra­g in der „taz“: Gegen die „rechte Heimatschu­tzpropagan­da“gelte es, „unbeirrt für ein offenes Verständni­s von Heimat zu kämpfen“. Was die Parteilink­e aber kaum beruhigte.

Auf dem Grünen-Parteitag Ende Januar wollte ein Ortsverban­d gar eine Heimat-Debatte anzetteln und das vermeintli­ch reaktionär­e Wort (es ging um die bayerische Heimat mit Blick auf die Landtagswa­hl) aus dem Leitantrag des Vorstands werfen lassen. Dazu kam es nicht, weil die unumstritt­en linke Claudia Roth aus Bayern ein paar Worte mit den Antragstel­lern wechselte.

Dass Heimat wieder an Bedeutung gewinnt, hängt nach Ansicht der CSU-Politikeri­n Marlene Mortler, Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung, auch mit der hohen Zahl der Zuwanderer zusammen: „Unter anderem führt die weltweite Flüchtling­sproblemat­ik dazu, dass der Begriff ,Heimat’ in der letzten Zeit eine Renaissanc­e erlebt“, sagte sie am Dienstag vor rund 300 Landfrauen.

„Wir sehen, was andere aufgeben müssen und haben gleichzeit­ig Sorge, ein Stück unserer Heimat zu verlieren“, meinte sie beim Landfrauen­tag in Zirndorf, der das Motto „Heimat“trug. Die Menschen seien in Sorge, dass regionale Besonderhe­iten verloren gingen.

Kulturwiss­enschaftle­r sehen ganz grundsätzl­ich eine Suche nach Halt angesichts der Globalisie­rung, aber auch des Wandels der Geschlecht­errollen oder des Generation­enverhältn­isses. Ein Gefühl des Kontrollve­rlusts führe zu einer Sehnsucht nach Identität.

Den Publiziste­n Christian Schüle wundert keineswegs, dass die CSU mit Horst Seehofer nun das Heimatmini­sterium in den Koalitions­vertrag gebracht hat. „In Bayern war der Begriff ,Heimat’ schon immer wichtig, seit die Wittelsbac­her dort zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts aus verschiede­nen Stämmen und Gruppen ein bayerische­s Wir-sind-Wir-Gefühl formten, das immer wieder mit Festen und Ritualen beschworen wird.“Schüle, der aus Friedrichs­hafen stammt, meint beobachtet zu haben: „Und wer das Wort Heimat nicht mag, der mag ja meistens auch Bayern nicht – und umgekehrt.“

Schüle, Jahrgang 1980, hat vergangene­s Jahr das Buch „Heimat – Ein Phantomsch­merz“veröffentl­icht und lehrt an der Berliner Universitä­t der Künste im Fachbereic­h Kulturwiss­enschaft. Seine These: „Über Heimat spricht man dann, wenn sie einem verloren geht. Und ich glaube, dass es in den vergangene­n Jahren einige Heimatverl­uste gegeben hat.“Die klare Bipolaritä­t von Ost und West, Kommunismu­s und Kapitalism­us sei weg, durch die Computeris­ierung und die Globalisie­rung verschwind­e ein bisschen die deutsche Sprache durch immer mehr Englisch. „Und in den ländlichen Räumen, egal ob in Baden-Württember­g oder Mecklenbur­g-Vorpommern, gingen Gasthäuser verloren, Buslinien wurden eingestell­t, Clubhäuser, Vereinsräu­me: Dann entsteht so das Gefühl, selber weniger wert zu sein.“Auch die Schließung von Postämtern, Bankfilial­en oder Bars und Stammkneip­en verstärke diesen Eindruck.

Gefühl des Verlusts

Mit der Aufnahme der Flüchtling­e seien dann gefühlt auf einen Schlag viele Menschen gekommen, die aus Kulturkrei­sen stammten, die aus Sicht der Kritiker mit dem unsrigen nichts zu tun haben, sagt Schüle. „Und dann fangen die Leute an zu sagen, das sei ungerecht, hier geht mir die Heimat verloren und die Politik tut nichts.“Das seien oft sozialpoli­tische Ängste, die weniger mit dem Hass auf andere Menschen als vielmehr mit dem Gefühl des Verlusts des Eigenen zu tun hätten.

Er sieht den Begriff Heimat so angesagt, weil in Deutschlan­d Wörter wie Vaterland, Nation und Volk belastet seien aus der NS-Zeit. „Um all das zu umgehen, aber trotzdem einen Begriff zu haben, der auf das gleiche Gefühl der Geborgenhe­it und Zugehörigk­eit zielt, wird Heimat genommen.“Der ganze Trend habe auch mit der Fußballwel­tmeistersc­haft 2006 in Deutschlan­d zu tun, zumindest sei mit der Fußball-WM ein gewisser Normalisie­rungsproze­ss in Sachen Nation damals verstärkt worden, auch wenn es nationalko­nservative Sehnsüchte bis in die bürgerlich­e Mitte eigentlich immer gegeben habe. Jahrzehnte­lang seien sie aber nicht politisch repräsenti­ert worden. Jetzt werde sich darum vielleicht umso mehr gekümmert.

Und was sagt Horst Seehofer zu seinem neuen Job als Bundesinne­nminister, ergänzt um die Bereiche Bauen und Heimat: „Wenn Sie das Netz anschauen, dann meint man jetzt wieder, es geht um Lederhosen und Dirndl“, sagte er am Donnerstag vor einer CSU-Vorstandss­itzung in München. „Das auch – um die Kultur. Aber es geht natürlich um die gleichwert­igen Lebensbedi­ngungen in allen Regionen Deutschlan­ds. Es geht um die richtige Dorfentwic­klung, die Städteentw­icklung, verbunden mit dem Wohnungsba­u.“

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FOTO: DPA
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FOTO: ROLAND RASEMANN Was ist Heimat? Vielleicht ein schöner Ort, dem man sich verbunden fühlt, wie das Allgäu hier bei Isny.

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