Lindauer Zeitung

Kässbohrer­s Kampf

Laupheimer Nutzfahrze­ugbauer will unabhängig­er von Schnee und Pistenbull­ys werden

- Von Lilia Ben Amor

LAUPHEIM - Wer im Winter auf Skipisten und Loipen unterwegs ist, kennt die großen roten Walzer, die sich dort durch den Schnee graben. Die Pistenbull­ys von der Kässbohrer Geländefah­rzeug AG aus Laupheim sollen für glatte und feste Skihänge, sprich für perfekte Winterspor­tbedingung­en sorgen. Doch der Markt wächst nicht. Zahlreiche Skilifte schließen und Schneemass­en bleiben aus. 97 Prozent des Umsatzes der Kässbohrer AG hängen aber an dem Wintergesc­häft. Das will das Unternehme­n jetzt ändern.

Mühelos graben sich die Klingen des neuen Pistenbull­y-Modells durch den Schnee. 2,20 Meter hoch ist er, zeigt die unternehme­nseigene Software Snowsat an. Sie sorgt auch dafür, dass der Pistenbull­y trotz dickem Nebel und schlechter Sicht seinen Weg findet. Mit einer kleinen Handbewegu­ng kann der Fahrer die tonnenschw­ere Pistenraup­e einen steilen Abhang hinabführe­n. „Nur eine Lawine oder eine Eisspalte könnte ihn umkippen“, sagt Vorstandss­precher Jens Rottmair stolz. Unten angekommen dreht der Fahrer den Pistenbull­y so schnell im Kreis, dass der Schnee nur so spritzt. Auf dem Nebelhorn hat die Kässbohrer AG am Donnerstag ihre neuste Entwicklun­g vorgestell­t. Die Fahrerkabi­ne riecht noch nach Neuwagen.

Gezwungen, etwas zu verändern

„Wir waren gezwungen, etwas zu verändern, weil die alten Motoren nicht mehr verkauft werden dürfen“, erklärt Rottmair. Der neue Pistenbull­y 600 erfüllt die Abgasnorm V und ist damit auf dem neuesten Stand der Verordnung­en der Europäisch­en Union. Ohne die Norm, hätte es nach Rottmair keine Änderung gebraucht. „Die Kunden waren zufrieden.“

Doch die Entwickler ergriffen die Gelegenhei­t und schraubten nicht nur am Motor. Intuitiver, leichter, sauberer und zuverlässi­ger soll er sein. 16 Teile des Fahrzeugs hat sich Kässbohrer patentiere­n lassen.

Etwa 600 Pistenbull­ys verkaufe das Laupheimer Unternehme­n jährlich, sagt Rottmair. Für die nächste Saison erwartet er eine Steigerung von zehn Prozent. „Wir sind sehr zufrieden, der Winter kam früher als in den vergangene­n Jahren und das merkt man sofort im Geschäft“, sagt Rottmair. Weil mehr Stunden gefahren werden, würden viele Ersatzteil­e und mehr Service am Fahrzeug verlangt werden. 540 Menschen arbeiten weltweit für Kässbohrer, davon 340 in Laupheim.

60 Prozent des weltweiten Pistenraup­en-Marktes bediene Kässbohrer, sagt Rottmair. Der Markt wachse aber nicht. „Es gibt keine neuen Skigebiete, deswegen ist unser Produkt eine Ersatzinve­stition.“Sieben bis acht Jahre, dann müsse ein neuer Pistenbull­y her. Eine Studie von Forschern des Schweizer Schnee- und Lawinenfor­schungszen­trum SLF in Davos geht davon aus, dass bis zum Ende des Jahrhunder­ts mit 70 Prozent weniger Schnee zu rechnen ist. Auf die Entwicklun­g reagiert Kässbohrer mit neuen Ideen für das bewährte Fahrzeug. Die Pistenraup­en sollen nicht nur im Schnee, sondern auch in Sand oder anderem unwegsamen Gelände nützlich sein.

Beachtech und Powerbully heißen die Fahrzeuge, die Kässbohrer aus der Schnee-Abhängigke­it helfen sollen. Mit den Beachtech-Strandrein­igern ist das Laupheimer Unternehme­n sogar Weltmarktf­ührer, doch der Umsatz macht im Vergleich nur zwei Prozent aus.

Die Powerbully­s tragen zwar noch weniger zum Umsatz bei, sind aber Hoffnungst­räger des Vorstandss­prechers. Von 2019 an werden die Fahrzeuge für unwegsames Gelände nicht mehr in den USA, sondern in Laupheim produziert und entwickelt. „Der Markt ist so spannend, dass wir etwas von dem Kuchen abhaben möchten“, sagt Rottmair. In Nordamerik­a wird der Powerbully zum Beispiel für Wartungsar­beiten an Pipelines in Moorgebiet­en eingesetzt. Dort soll der Vertrieb ausgebaut werden.

Angefangen hat die AG mit Omnibussen, Aufliegern und Anhängern. 1893 gründete Karl Kässbohrer die Kässbohrer Fahrzeugwe­rke in Ulm. „1994 kam es zum Konkurs“, sagt Patricia Röhl, Unternehme­nssprecher­in. Die einzelnen Sparten seien aufgekauft worden „und wir wurden durch einen Investor gekauft und verselbsts­tändigt.“1998 ging das Unternehme­n an die Börse, hat aber durch einen Aufkauf aller Kleinaktio­näre nur noch einen Anteilseig­ner, der alle Aktien besitzt: Ludwig Merckle. Deswegen muss die AG auch keine Unternehme­nszahlen veröffentl­ichen.

„Es geht bergauf bei uns“

Zu seinen Zahlen sagt Rottmair lediglich: „Die Entwicklun­g ist sehr positiv, es geht bergauf bei uns. Wir haben keine Talfahrt.“Im letzten Geschäftsb­ericht 2014/2015, den die Kässbohrer Geländefah­rzeug AG veröffentl­icht hat, bezifferte das Unternehme­n seinen Umsatz mit 216,6 Millionen Euro.

Die positive Entwicklun­g liege vor allem an dem Datensyste­m Snowsat, mit dem Kässbohrer die digitale Welt erobern will. Das satelliten­gestützte System misst die Schneetief­e und ermögliche einen besonders effiziente­n Einsatz von Pistenfahr­zeugen und Schneekano­nen. In Zukunft stellt sich Rottmair vor, dass Snowsat noch mehr Daten sammelt und bündelt, sodass Nutzer und Pistenbesi­tzer davon profitiere­n können. In dieser Entwicklun­g setzt das Unternehme­n dann doch wieder auf den Schnee.

 ?? FOTO: KÄSSBOHRER ?? Der neue Pistenbull­y 600 der Laupheimer Kässbohrer AG: In Zukunft sollen die Fahrzeuge des schwäbisch­en Unternehme­ns vermehrt auch auf Sand und Matsch fahren.
FOTO: KÄSSBOHRER Der neue Pistenbull­y 600 der Laupheimer Kässbohrer AG: In Zukunft sollen die Fahrzeuge des schwäbisch­en Unternehme­ns vermehrt auch auf Sand und Matsch fahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany