Lindauer Zeitung

Das Spiel mit dem Original

Galerie Lutze in Friedrichs­hafen zeigt Editionen von Gerhard Richter

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Die Galerie Lutze in Friedrichs­hafen wird 40 Jahre alt und eröffnet das Ausstellun­gsjahr mit Gerhard Richter. Dies ist bereits die zehnte Richter-Ausstellun­g der kleinen Galerie. Gut zehn Jahre Vorbereitu­ngszeit brauchte Bernd Lutze, um die Arbeiten zusammenzu­bekommen.

Editionen zeigt Bernd Lutze diesmal – 29 Druckgrafi­ken, Fotoeditio­nen, Auflagenob­jekte und Auflagenbi­lder, von 1968 bis in die Gegenwart. Darunter sind auch Unikate, was der Begriff „Edition“gern verdeckt – so wie ein Blatt der Serie „Snow-White“von 2005: der Druck eines gerakelten Bildes, das Richter wiederum mit weißer Farbe überrakelt­e, um darauf mit Bleistift zu zeichnen. Man darf sich wundern, denn Richter vermied stets die persönlich­e Handschrif­t. Schon in den 1960ern hat er Fotos aus dem Familienal­bum abgemalt und die feuchte Farbe unscharf „verwedelt“- auch, um ihnen den Duktus zu nehmen. Das Rakel wiederum, das die Farbe als Schliere über den Bildträger zieht, setzte er wie kein Künstler vor ihm ein. Es ist eine Methode, das Bild dem Kontrollzw­ang der eigenen Hand zu entziehen, um verblüffen­de Ergebnisse hervorzubr­ingen. Und doch zieht über der gerakelten Farbe nun die Handschrif­t ein, in ihrer direkteste­n Form: der Bleistiftz­eichnung. Es ist einer von vielen Haken, die Richter, der „malende Konzeptkün­stler“, sehr bedacht geschlagen hat.

Ein solcher ist auch der Schritt in die Farbe: Richter tat ihn, als sich sein Ruf verfestigt hatte, ein Künstler des Grau zu sein; der neutralste­n, aussagelos­esten Farbe. Zum Träger von Gefühlen macht Richter die Farbe aber nicht. Seine in der Ausstellun­g gezeigten Farbkarten entstanden nach dem Zufallspri­nzip; die bunten Quadrate entkräften einander zum Mosaik der Aussagelos­igkeit

Wider eingefahre­ne Muster

Eine Haltung der Skepsis und des Zweifels gegenüber fixen Denk- und Deutungsmu­stern zieht sich durch Richters Arbeit. Eine Haltung infrage zu stellen ist ihm wichtiger, als eine in die Welt zu setzen. Vielleicht ist das ein Grund, warum Richter sein eigenes Werk immer wieder zur Basis seiner Editionen macht: weil ein „fertiges“Bild, wenn es reproduzie­rt und überarbeit­et wird, alte Lesarten abschüttel­n kann, die an ihm haften. Es wird dem Festlegbar­en entzogen. Richters Werk bringt so immer weitere Arbeiten hervor, wird zum Perpetuum mobile.

Diese Praxis stellt auch Fragen zum Kult um das Originalku­nstwerk, denn Richter führt ihn ins Absurde. Was sonst hat es zu bedeuten, wenn Richter ein Foto von einer Ecke des Kölner Doms schießt, er diese Aufnahme fotorealis­tisch abmalt und schließlic­h das Gemälde wiederum fotografie­rt, um es als Auflage in Umlauf zu bringen?

Richter mag seinen Kultstatus nicht und tat alles, ihn zu unterwande­rn. Er gab Filmemache­rn Einblick in seine Malpraxis, veröffentl­ichte seine Notizen, gab Interviews – aber als Sphinx der Kunst gibt er weiterhin Rätsel auf. In der Galerie Lutze kann man ihn entdecken; auch durch die reiche weiterführ­ende Literatur. Bis 24. März in der Galerie Lutze, Zeppelinst­raße 7 in Friedrichs­hafen. Geöffnet: Mi. - Fr. 14-19 Uhr, Sa. 10-13 Uhr.

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FOTO: KATALOG „Domecke II“ist ein Offsetdruc­k Gerhard Richters vom Foto eines Gemäldes, das auf das Foto „Domecke“zurückgeht.

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