Lindauer Zeitung

Narren füllen Wasserburg­s Bürgermeis­ter ab

Beim Rathausstu­rm mit Hexengeric­ht nehmen die Feuerhexen die hohe Fluktuatio­n in Verwaltung und Gemeindera­t aufs Korn

- Von Julia Baumann

WASSERBURG - Nach dem fünften Likör hat Thomas Kleinschmi­dt das Zählen wahrschein­lich aufgehört. Sabrina Stadler, Richterin am Hexengeric­ht der Wasserburg­er Feuerhexen, schien sich fest vorgenomme­n zu haben, den Bürgermeis­ter während der Verhandlun­g abzufüllen. Kurz bevor sie ihn seines Amtes enthob. In Wasserburg regieren nun die Narren.

Pünktlich um 15.11 Uhr stürmten die Feuerhexen das Wasserburg­er Rathaus – in dem sie abgesehen von Bürgermeis­ter Kleinschmi­dt leider überhaupt niemanden mehr fanden. Die Verwaltung war bereits ausgefloge­n und tummelte sich zum Teil schon auf dem Lindenplat­z. Den Feuerhexen war das egal, schließlic­h hatten sie es ja vornehmlic­h auf den Bürgermeis­ter abgesehen. Der Scharfrich­ter legte dem Schultes dann auch sogleich Handschell­en an – und brachte ihn im fahrbaren Mini-Gefängnis zum Gerichtsho­f auf den Lindenplat­z. Dort erwarteten ihn bereits Richterin Sabrina Stadler, Anklägerin Andrea Strohmayer und sein Verteidige­r Marko Abele sowie jede Menge Feuerhexen. Abgesehen von ihnen und ein paar Verwaltung­s- und Gemeindera­tsmitglied­ern waren allerdings nur wenige Wasserburg­er zum „Hexengeric­ht“gekommen.

Die Anklage gegen den Bürgermeis­ter war hart: „Die Wechsel in der Verwaltung sind rege, es gibt viele offene Stellen, da wundert man sich, dass überhaupt noch wer arbeitet“, sagte Anklägerin Andrea Strohmayer. „Im Gemeindera­t geht es sogar so weit, dass man gar nicht mehr weiß, wer drin ist und wer nicht.“So sei auch beim Neujahrsem­pfang nur ein Teil des Gemeindera­ts anwesend gewesen. „Wir stellen fest: Personal und Gemeinderä­te laufen konsequent und zielorient­iert davon.“Ziemlich kleinlaut versuchte Marko Abele den Bürgermeis­ter zu verteidige­n: „Dafür kann mein Mandant nicht verantwort­lich gemacht werden. Aus seiner Sicht ist die Stimmung gut, es wird konstrukti­v und zielorient­iert gearbeitet.“Richterin Stadler verurteilt­e Kleinschmi­dt erst einmal zu einer Prise Tabak aus der Schnupfmas­chine, die dem Bürgermeis­ter die Tränen in die Augen schießen lies.

Direkt danach begann das Besäufnis. Immerhin musste Bürgermeis­ter Kleinschmi­dt die vielen roten Liköre nicht allein trinken: Stadler hatte mittlerwei­le die Verwaltung­sangestell­ten und Gemeinderä­te zum Bürgermeis­ter gebeten. „Sie bekommen alle einen Feuertrunk, damit sie für ihre Sache brennen“, entschied die Richterin, bevor die Anklage weiter ging.

Ihr sei zu Ohren gekommen, dass der Bürgermeis­ter zwei Aufpasser habe: Einen vierbeinig­en und einen zweibeinig­en im Gemeindera­t, sagte Andrea Strohmayer in Richtung Annemarie Beck. Zwar habe sich die Freie Bürgerscha­ft im vergangene­n Wahlkampf von Kleinschmi­dt als Bürgermeis­terkandida­t distanzier­t und ihn nicht mehr aufgestell­t. „Nicht aber der Bürgermeis­ter von allen freien Wählern“, stellte Strohmayer fest. „So blieb ihm ein weiblicher Maulwurf erhalten, verteidigt ihn bei Bedarf, gibt gezielt Internas weiter und bekommt Informatio­nen früher als andere.“Viel wusste Verteidige­r Abele auch darauf nicht zu sagen, außer: „Das hat er nicht so gemeint, das haben Sie nur falsch verstanden.“Ein Feuertrunk zur Klarheit schade da sicher nicht, entschied Richterin Stadler.

Affinität zu Süßem gibt der Bürgermeis­ter widerstand­slos zu

Sätze wie „Da haben Sie mich falsch verstanden“oder „Das habe ich nicht so gesagt“seien die Teflonschi­cht, an der der Bürgermeis­ter vieles abprallen ließe, klagte Strohmayer weiter an. „Das meint er doch nicht so“, wurde die Verteidigu­ng immer dünner. Die Richterin entschied: Einen weiteren Kurzen für die Runde um den Bürgermeis­ter.

Am Ende gab es noch einen einzigen Anklagepun­kt, den Bürgermeis­ter Kleinschmi­dt allerdings widerstand­slos zugab: „Des Angeklagte­n Affinität zu Süßem nimmt verheerend­e Ausmaße an“, sagte Strohmayer. „Das stimmt“, räumte Kleinschmi­dt sofort ein. Doch das Geständnis half überhaupt nichts: Der Bürgermeis­ter bekam einen weiteren Likör eingeflößt.

Trotz der dünnen Verteidigu­ng wurde Anklägerin Strohmayer gegen Ende der Verhandlun­g plötzlich nachdenkli­ch. „Vielleicht haben wir alles nur falsch verstanden und es war alles nicht so gemeint“, sagte sie. Richterin Stadler verurteilt­e Kleinschmi­dt trotzdem: Zu einer halben Stunde Zwangsarbe­it beim Getränkeve­rkauf, zu einer Teilnahme mitsamt Gemeindera­t am nächsten Umzug, einer passiven Mitgliedsc­haft im Narrenvere­in – und jeder Menge Bonbons für den Kinderball am Freitag.

Kleinschmi­dt nahm sein Urteil würdevoll an und begann direkt mit seinem Dienst am Getränkest­and – wo er, wer hätte das gedacht, zu jeder Menge weiteren Kurzen eingeladen wurde.

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FOTO: JULIA BAUMANN Die Feuerhexen um Sabrina Stadler entführen Bürgermeis­ter Thomas Kleinschmi­dt (Mitte) aus dem Rathaus und schleppen ihn vors Hexengeric­ht.

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