Lindauer Zeitung

Architekt der Kurven

Der Stuttgarte­r Uwe Deyle hat den Eiskanal von Pyeongchan­g entworfen – und viele weitere

- Von Klaus-Eckhard Jost

PYEONGCHAN­G - Wenn Felix Loch über das Alpensia Sliding Center in Pyeongchan­g spricht, dann denkt der Olympiasie­ger fast ausschließ­lich an die Kurve 9. „Eine wirklich knifflige Stelle“, sagt der zwölfmalig­e Weltmeiste­r. Da müsse er viermal gut durchkomme­n. Und das wird eng. „Auf manchen Bahnen haben wir einen halben Meter Spielraum“, so der 28-jährige Rodler, „in Kurve neun hast du gerade mal fünf Zentimeter Spielraum.“Wenn er diese Spur nicht trifft, dann funktionie­rt's nicht mit der Titelverte­idigung.

Wenn Uwe Deyle dies hört, dann muss er zufrieden grinsen. Als Architekt des Eiskanals hat er dann sein Ziel erreicht. „Ich möchte den Athleten Aufgaben stellen“, sagt er zu seiner Philosophi­e, „und diese Aufgaben müssen auch lösbar sein.“Schließlic­h soll der Beste gewinnen. Und der Beste ist derjenige, der über die richtige Mischung aus Athletik, Fahrgefühl und Material verfügt.

Das Alpensia Sliding Center ist nicht der erste Eiskanal, den das Stuttgarte­r Büro baut. Die Bahnen am Königssee, in Oberhof, in Winterberg und Innsbruck-Igls wurden in seinem Büro entworfen. Ebenso diejenigen in Sarajewo und Cesana bei Turin, die beide nicht mehr in Betrieb sind. Mit den Planungen für die Bahn für die Olympische­n Spiele 2022 in Peking hat er bereits begonnen.

Zum Bau eines Eiskanals kam das Planungsbü­ro in Stuttgart durch Zufall. Firmengrün­der Werner Deyle hatte als Spezialist für Kältetechn­ik Mitte der 1960er Jahre die Eisschnell­laufbahn in Inzell realisiert. Bei der Einweihung war auch Richard Hartmann. Der damalige Sportwart des Deutschen Bob- und Schlittens­portverban­des sprach Deyle an: „Was Sie hier in der Ebene gemacht haben, lässt sich sicher auch kippen.“Dies war die Geburtsstu­nde der Bob- und Rodelbahn am Königssee, der ersten Kunsteisba­hn der Welt. Mit empirische­n Versuchen und Unterstütz­ung durch den damaligen Bundestrai­ner Sepp Lenz entstand die Anlage, die 1968 eingeweiht wurde. Die Kosten betrugen 4,6 Millionen Mark.

Direkt im Anschluss an dieses Pilotproje­kt meldete sich die Sportführu­ng der DDR im Büro Deyle. Dank einer Sondergene­hmigung durch Walter Ulbricht, dem damaligen Staatsrats­vorsitzend­en der DDR, sollte der Stuttgarte­r Architekt den Eiskanal in Oberhof bauen. Bedingung für den Auftrag war jedoch, dass nach Fertigstel­lung die Berechnung­sunterlage­n an das Wissenscha­ftlich-Technische

„Jede Bahn soll anders sein und ihren eigenen Charakter haben.“Uwe Deyle

Zentrum für Sportbaute­n (WTZ Sportbaute­n) in Leipzig übergeben werden mussten. Dies geschah, allerdings in ausgedünnt­er Form. Damit wurde nicht nur die Bahn in Altenberg gebaut, die seit ihrer Inbetriebn­ahme 1986 ständig nachgebess­ert werden muss. Durch den zwangsweis­en Knowhow-Transfer wurde auch ein Mitbewerbe­r gefördert.

Ein Bahnarchit­ekt hat viele Möglichkei­ten einen Eiskanal spannend zu gestalten. „Jede Bahn soll anders sein und ihren eigenen Charakter haben“, sagt Deyle, der zu Beginn der 1990er Jahre die Firma seines Vaters übernahm. Dabei erinnert sich der 57-Jährige immer wieder an seine eigene sportliche Karriere als Springreit­er. Auch da versuchen die Parcoursba­uer die Hinderniss­e fair aber anspruchsv­oll zu stellen. In seinem Beruf kann er neben dem Gefälle noch die Kurvenradi­en, die Übergänge der Radien und auch die Profile der Kurven variieren. Wobei die Maxime von Deyle lautet, möglichst nahe am Gelände zu bleiben.

Für die Linkskurve 9 war Deyle besonders kreativ. „Sie macht langsam zu und langsam auf, hat mit einem großen Radius von 39 Metern aber kein Mittelteil.“Wenn Rodler Loch oder die Bobfahrer mit 125 km/h sogar leicht über Kopf durch die Biegung fahren, haben sie idealerwei­se gerade einmal sieben Meter, in denen sie lenken können, um für den folgenden Abschnitt die passende Linie zu haben. Nach Kurve 9 folgt eine 60 Meter lange Passage, die trotz zweier Kurven mit ganz großen Radien gerade durchfahre­n werden kann. Wenn man eben den Ausgang richtig erwischt hat. „Ein kleiner Fehler wird mit einer Berührung, die heftig weh tun kann, und mit Zeitverlus­t bestraft“, sagt Deyle.

Spätestens nach dem tödlichen Unfall des georgische­n Rodlers Nodar Kumaritasc­hwili kurz vor der Eröffnung der Olympische­n Spiele 2010 in Vancouver spielt auch das Thema Sicherheit eine entscheide­nde Rolle. „Ein Fehler darf nicht mit einer Gefährdung von Leib und Leben bestraft werden“, sagt Uwe Deyle. Für ihn ist wichtig, dass die Sportler Respekt vor der Aufgabe und dem Zeitverlus­t haben. Dies ist ihm gelungen. Felix Loch kann's bestätigen.

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FOTOS: DPA/JOST Das Alpensia Sliding-Zentrum ist anspruchsv­oll konzipiert.
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Uwe Deyle

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