Auf der Suche nach Wahrheit
Zeppelin-Uni zeigt Kunst, die Menschenrechtsverletzungen aufdeckt
FRIEDRICHSHAFEN - Im syrischen Aleppo jagte das amerikanische Militär 2017 das Nebengebäude einer Moschee in die Luft. Angeblich, weil sich Kämpfer der Terrorgruppe Al-Quaida darin befanden. Aber ist das die Wahrheit? Vielleicht hätte sich das nie herausfinden lassen, wenn es nicht Forensic Architecture gäbe, eine Forschergruppe mit Sitz in London. Gegründet wurde sie vom Israeli Eyal Weizman. Der Architekt wuchs mit dem Palästinenserkonflikt auf. Das schärfte sein Gespür für die politische Instrumentalisierung der Wahrheit. Manipuliert wurde sie auch im Fall des Bombardements in Aleppo. Denn Forensic Architekture wies nach, dass die Militärs hier nicht nur ein Nebengebäude trafen, sondern auch die AlJinah Moschee selbst, in der sich mehrere hundert Zivilisten befanden.
Forensic Architecture wird aktiv, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht und offiziellen Verlautbarungen darüber nicht zu trauen ist. Die Expertise der Gruppe wird von den Vereinten Nationen ebenso geschätzt wie von Amnesty International, denn Forensic Architecture geht es um wissenschaftlich haltbare Ergebnisse, nicht um Agitation.
Wie sie zustande kommen, zeigt nun eine Ausstellung, die am morgigen Kunstfreitag in der Zeppelin-Universität eröffnet wird. Zu sehen sind Videos, die nur wenige Minuten lang sind. Sie stellen einzelne Fälle vor und zeigen zugleich, wie Forensic Architecture Informationen zusammenträgt. Dabei arbeiten Architekten, Journalisten, Computerspezialisten und andere Experten zusammen. Im Fall der zerstörten Moschee wurden Fotos der Bombenkrater ausgewertet, ein Fotograf fertigte Innenaufnahmen der zerstörten Gebäude an, Satellitenaufnahmen wurden gesichtet und Überlebende befragt. Schließlich entstand am Computer ein 3D-Modell der Moschee. In einem pointierten Wortbeitrag werden die Ergebnisse zusammengefasst.
Forensic Architecture betreibt ganz sicher investigativen Journalismus. Aber ist das auch Kunst? Als Kunst angesehen wurde die Arbeit von Forensic Architecture auf der sehr politischen documenta 14 von 2017. „Die Gruppe stach mit ihrer Arbeit zur Terrorgruppe NSU heraus“, sagt Ulrike Shepherd vom „artsprogram“der ZU. Sie freut sich, dass auch das Zeppelin-Museum in seiner Kunstausstellung „Schöne neue Welten“ein Video von Forensic Architecture zeigt. „Wir hatten mit dem Museum keine Kooperation beabsichtigt“, meint Shepherd. „Aber dass sie sich mit Forensic Architecture zufällig ergeben hat, zeigt, dass das Zeppelin-Museum an denselben Fragen arbeitet wie das ’artsprogram’.“
Rekonstruktion der Wirklichkeit
Eine dieser Fragen könnte lauten: Sind virtuelle Realitäten immer eine Flucht aus der Wirklichkeit? Keineswegs, wie Forensic Architecture zeigt. Zwar baut die Gruppe am Bildschirm durchaus eine Wirklichkeit, die es nicht (mehr) gibt. Aber sie hat das Ziel, etwas zu rekonstruieren, das einmal Wirklichkeit gewesen ist, bevor es gewaltsam zerstört wurde. Wirklichkeit und Wahrheit hängen eng zusammen. Wenn in Kriegen Bomben fallen, ist das oft auch der Versuch, eine Wahrheit auszulöschen. Nicht umsonst heißt es, die Wahrheit sei das erste Opfer des Krieges und Geschichte werde von Siegern geschrieben. Forensic Architecture arbeitet dagegen an.
Was vom Erdboden verschwunden ist, kann nicht mehr sprechen. Es sei denn, man wendet archäologische Methoden an: Im Projekt „Ground Truth“betreibt Forensic Architecture gleichsam Ausgrabungen aus der Luft. Mitten in der Negev-Wüste kann die Gruppe durch den Einsatz von Ballons und Drachen, an denen Kameras befestigt sind, die Reste alter Siedlungen von Beduinen nachweisen. Der Staat Israel bestreitet die historischen Ansprüche der Beduinen auf das Land, mit der Behauptung, vor der Gründung Israels 1948 sei es unbewohnt gewesen. Das Video in der ZU kann diese Argumentation widerlegen. Ein Triumph scheint das für Eyal Weizman aber nicht zu sein. „Es wäre mir lieber, wenn meine Arbeit nicht gebraucht würde“, sagte er einmal.