„Was ist eigentlich Heimat?“
Der langjährige Kreisheimatpfleger und Kreisarchivpfleger Werner Dobras über die Geschichte und die Bedeutung von Heimat
nseren Ahnen ist der Begriff „Heimat wertvoll, ja, lebenswichtig gewesen. Da erschien anno 1825 für ganz Bayern tatsächlich ein Heimatgesetz, nach dem es schon zuvor als juristischer Begriff vorhanden war. Nun aber wurde es zu einem einklagbaren Recht umgeformt, als ein Recht auf die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde. Erst 1868 wurde dann auch der Erwerb des so wichtigen Rechts, ebenso wie die Möglichkeit einer Verehelichung, wesentlich erleichtert.
Das fehlende Recht auf Heimat bekam zuvor so Mancher am eigenen Leibe zu spüren. Einige neue Erdenbürger mußten aufgrund fehlender Heimat gleich mit dem Leben bezahlen. Nämlich dann, wenn ihre zukünftige Mutter eben kein Heimatrecht hatte. In solchen Fällen verweigerte bald jede Gemeinde der angehenden Mutter den Eintritt ins Dorf. Sie wusste, was deren Aufenthalt geheißen hätte: Die Gebärende hätte dann dem neuen Erdenbürger das begehrte Heimatrecht gesichert, das er vielleicht einmal, in Notfällen, in Anspruch nehmen, ja darauf pochen könnte. Also ließ man die Gebärende lieber vor den Toren, wo sie dann ohne jegliche Hilfe ihr Kind auf die Welt bringen konnte.
Bei den zuvor stattfindenden Debatten stellte man immerhin fest: Die Heimat sei die Wiege mannigfaltiger schöner Beziehungen und Gefühle, aus welcher der Sinn für die Mitwirkung zu gemeinsamen Zwecken sich entwickelt, das Heimatrecht sei „eines der herrlichsten Rechte im Staate.“Durch das Gesetz über die Heimat, so hieß es, wurde der Begriff „Heimat“, der bis dahin eigentlich nur im Zusammenhang mit Grundund Hausbesitz angewandt wurde, zu einem juristischen Begriff umgeformt. Das Heimatrecht war nun einklagbares Recht.
Heimat ist nicht exakt und kurz definierbar
Was also ist Heimat? Ein so bedeutendes Wort und doch so ungenau! Dabei haben sich Dichter und Philosophen, Politiker und Nichtpolitiker immer wieder einmal dazu und darüber geäußert, mal juristisch, mal sentimental. Exakt und kurz konnte es bis heute noch keiner definieren.
Was wurde da alles angeführt. Etwa davon, daß man seine Heimat erwandern müsse! Die heimatliche Gegend, die natürlich früher einmal eine gravierende Rolle spielte, war eben damals die Heimat, die man so kennen lernen konnte. Dazu wurde von verbindender Mundart geredet. Alles, was innerhalb einer Gegend, eventuell auch der, in der eine gemeinsame Mundart verband, war wichtig und trug zur Heimatverbundenheit bei. Man sah Bayern, besser noch eine Region, darin als Heimat an.
Heute ist nicht mehr sehr viel vom Heimweh die Rede. Was ist es auch? Als ich erstmals in einem Pfadfinder-Lager war, hatte ich schmerzliches Heimweh, als ich auf der Flucht war, gar keines: ich hatte ja meine Mutter, meine Schwester bei mir. Daraus gelernt habe ich aber, daß Eltern und Geschwister auch ein ganz wichtiger Teil der Heimat sind.
Als ich noch Kreisheimatpfleger war, habe ich 1986 in der Volksschule in Wasserburg einen Aufsatz „Wie siehst Du Deine Heimat?“veranlasst. 23 Schüler haben sich daran beteiligt. Die Antworten waren nicht uninteressant. Sie reichten von dem Satz „Ob mir meine Heimat gefällt oder nicht, habe ich mir noch nie überlegt.“Bis hin zu der des ersten Preisträgers: „Der See ist ein Teil von mir, ein Teil meiner Heimat. Er gehört einfach zu mir.“Ganz allgemein konnte man feststellen, daß die Jugendlichen recht positiv zur Heimat standen.
Da gibt es also die juristische und die sentimentale Heimat, um nur zwei zu nennen. Heimat, das ist Meinung der Ort, wo ich gerne geboren wäre, aber auch der, an dem ich die anderen Bürger kenne, wo ich mit Gefühl am Morgen die Todesanzeigen studiere, wo ich auch gerne einmal meine letzte Ruhe finden möchte und einmal Teil der Bodensee-Erde werde. Wo ich aber zuvor alle Wege durchwandert habe, wo ich (fast) jeden Winkel kenne und liebe. Trotz oder eben wegen der vielen Begriffsdeutungen wird man vielleicht – vielleicht! – sagen können: es gibt zumindest zwei: eine Heimat, in der man geboren wurde und die unveränderlich bleibt, aber auch die, wo man zuhause ist, schreibt ein Schüler der Volksschule in Wasserburg 1986 in einem Aufsatz wo man seine Nachbarn kennt, wo man in der Zeitung schaut, wer geheiratet hat, wer gestorben ist. Neulich sah ich zwei Paare am Ufer stehen, da deutete plötzlich einer von ihnen auf den See und meinte: „Der See gehört uns älle!“Ja, so könnte man stolz auf seine Heimat sein, so könnte man sie annehmen. Der Begriff Heimat ist einfach zu dehnbar, zu weit gestreut!
Am letzten Wochenende ging ich, wie immer, auf den Wochenmarkt, traf Bekannte, Freunde, mit denen ich plauderte. Ich sah Frauen mit ihren Einkaufskörben und konnte daran feststellen, welche einheimisch, eben eine Lindauerin war. Das empfand ich plötzlich, was Heimat ist, worüber man redet, wie man sich begegnet. Weiß ich jetzt, was Heimat ist? Nein, aber für einen Moment wusste ich es!
„Der See ist ein Teil von mir, ein Teil meiner Heimat“,