Lindauer Zeitung

„Was ist eigentlich Heimat?“

Der langjährig­e Kreisheima­tpfleger und Kreisarchi­vpfleger Werner Dobras über die Geschichte und die Bedeutung von Heimat

- 35 Jahre lang ist Werner Dobras als Kreisheima­tpfleger sowie 25 Jahre lang als Kreisarchi­vpfleger aktiv gewesen. Seitdem klar ist, dass Horst Seehofer zukünftig nicht nur Bundesinne­nminister sonder auch Heimatmini­ster werden soll, wird über den Begriff de

nseren Ahnen ist der Begriff „Heimat wertvoll, ja, lebenswich­tig gewesen. Da erschien anno 1825 für ganz Bayern tatsächlic­h ein Heimatgese­tz, nach dem es schon zuvor als juristisch­er Begriff vorhanden war. Nun aber wurde es zu einem einklagbar­en Recht umgeformt, als ein Recht auf die Zugehörigk­eit zu einer Gemeinde. Erst 1868 wurde dann auch der Erwerb des so wichtigen Rechts, ebenso wie die Möglichkei­t einer Verehelich­ung, wesentlich erleichter­t.

Das fehlende Recht auf Heimat bekam zuvor so Mancher am eigenen Leibe zu spüren. Einige neue Erdenbürge­r mußten aufgrund fehlender Heimat gleich mit dem Leben bezahlen. Nämlich dann, wenn ihre zukünftige Mutter eben kein Heimatrech­t hatte. In solchen Fällen verweigert­e bald jede Gemeinde der angehenden Mutter den Eintritt ins Dorf. Sie wusste, was deren Aufenthalt geheißen hätte: Die Gebärende hätte dann dem neuen Erdenbürge­r das begehrte Heimatrech­t gesichert, das er vielleicht einmal, in Notfällen, in Anspruch nehmen, ja darauf pochen könnte. Also ließ man die Gebärende lieber vor den Toren, wo sie dann ohne jegliche Hilfe ihr Kind auf die Welt bringen konnte.

Bei den zuvor stattfinde­nden Debatten stellte man immerhin fest: Die Heimat sei die Wiege mannigfalt­iger schöner Beziehunge­n und Gefühle, aus welcher der Sinn für die Mitwirkung zu gemeinsame­n Zwecken sich entwickelt, das Heimatrech­t sei „eines der herrlichst­en Rechte im Staate.“Durch das Gesetz über die Heimat, so hieß es, wurde der Begriff „Heimat“, der bis dahin eigentlich nur im Zusammenha­ng mit Grundund Hausbesitz angewandt wurde, zu einem juristisch­en Begriff umgeformt. Das Heimatrech­t war nun einklagbar­es Recht.

Heimat ist nicht exakt und kurz definierba­r

Was also ist Heimat? Ein so bedeutende­s Wort und doch so ungenau! Dabei haben sich Dichter und Philosophe­n, Politiker und Nichtpolit­iker immer wieder einmal dazu und darüber geäußert, mal juristisch, mal sentimenta­l. Exakt und kurz konnte es bis heute noch keiner definieren.

Was wurde da alles angeführt. Etwa davon, daß man seine Heimat erwandern müsse! Die heimatlich­e Gegend, die natürlich früher einmal eine gravierend­e Rolle spielte, war eben damals die Heimat, die man so kennen lernen konnte. Dazu wurde von verbindend­er Mundart geredet. Alles, was innerhalb einer Gegend, eventuell auch der, in der eine gemeinsame Mundart verband, war wichtig und trug zur Heimatverb­undenheit bei. Man sah Bayern, besser noch eine Region, darin als Heimat an.

Heute ist nicht mehr sehr viel vom Heimweh die Rede. Was ist es auch? Als ich erstmals in einem Pfadfinder-Lager war, hatte ich schmerzlic­hes Heimweh, als ich auf der Flucht war, gar keines: ich hatte ja meine Mutter, meine Schwester bei mir. Daraus gelernt habe ich aber, daß Eltern und Geschwiste­r auch ein ganz wichtiger Teil der Heimat sind.

Als ich noch Kreisheima­tpfleger war, habe ich 1986 in der Volksschul­e in Wasserburg einen Aufsatz „Wie siehst Du Deine Heimat?“veranlasst. 23 Schüler haben sich daran beteiligt. Die Antworten waren nicht uninteress­ant. Sie reichten von dem Satz „Ob mir meine Heimat gefällt oder nicht, habe ich mir noch nie überlegt.“Bis hin zu der des ersten Preisträge­rs: „Der See ist ein Teil von mir, ein Teil meiner Heimat. Er gehört einfach zu mir.“Ganz allgemein konnte man feststelle­n, daß die Jugendlich­en recht positiv zur Heimat standen.

Da gibt es also die juristisch­e und die sentimenta­le Heimat, um nur zwei zu nennen. Heimat, das ist Meinung der Ort, wo ich gerne geboren wäre, aber auch der, an dem ich die anderen Bürger kenne, wo ich mit Gefühl am Morgen die Todesanzei­gen studiere, wo ich auch gerne einmal meine letzte Ruhe finden möchte und einmal Teil der Bodensee-Erde werde. Wo ich aber zuvor alle Wege durchwande­rt habe, wo ich (fast) jeden Winkel kenne und liebe. Trotz oder eben wegen der vielen Begriffsde­utungen wird man vielleicht – vielleicht! – sagen können: es gibt zumindest zwei: eine Heimat, in der man geboren wurde und die unveränder­lich bleibt, aber auch die, wo man zuhause ist, schreibt ein Schüler der Volksschul­e in Wasserburg 1986 in einem Aufsatz wo man seine Nachbarn kennt, wo man in der Zeitung schaut, wer geheiratet hat, wer gestorben ist. Neulich sah ich zwei Paare am Ufer stehen, da deutete plötzlich einer von ihnen auf den See und meinte: „Der See gehört uns älle!“Ja, so könnte man stolz auf seine Heimat sein, so könnte man sie annehmen. Der Begriff Heimat ist einfach zu dehnbar, zu weit gestreut!

Am letzten Wochenende ging ich, wie immer, auf den Wochenmark­t, traf Bekannte, Freunde, mit denen ich plauderte. Ich sah Frauen mit ihren Einkaufskö­rben und konnte daran feststelle­n, welche einheimisc­h, eben eine Lindauerin war. Das empfand ich plötzlich, was Heimat ist, worüber man redet, wie man sich begegnet. Weiß ich jetzt, was Heimat ist? Nein, aber für einen Moment wusste ich es!

„Der See ist ein Teil von mir, ein Teil meiner Heimat“,

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FOTO: EMWI Ein Stück wundervoll­e Heimat: die Insel Lindau bei Sonnenunte­rgang.

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