Lindauer Zeitung

Sohn soll seine 87 Jahre alte Mutter entführt haben

Ein Familienzw­ist eskaliert – Dabei geht es auch ums Erbe – Das Verfahren in Memmingen wurde eingestell­t

- Von Verena Kaulfersch

MEMMINGEN - Ist es eine Entführung oder eine Rettungsmi­ssion gewesen, die sich am 10. März 2016 in Memmingen abspielte? Die Wahl zwischen beiden Versionen hatte das Memminger Amtsgerich­t. Die Anklage hatte Szenen wie aus der Seifenoper zu bieten: Demnach passte der Angeklagte seine Schwester und ihren Mann vor dem Wohnhaus ab, um seine damals 87-jährige Mutter aus deren Obhut zu entführen. Er habe sie „geschulter­t“und gegen ihren Willen zum SUV gebracht, mit dem seine der Freiheitsb­eraubung und gefährlich­en Körperverl­etzung mitangekla­gte Frau vorgefahre­n war.

Der Verteidige­r des 50-Jährigen rückte die Geschehnis­se in anderes Licht und zeichnete seinerseit­s ein wenig schmeichel­haftes Bild von Schwester und Schwager des Angeklagte­n: Sie hätten die Seniorin ohne Absprache zu sich genommen – nicht zuletzt aus Angst, beim Erbe benachteil­igt zu werden. Im Laufe der fast dreistündi­gen Verhandlun­g in Memmingen war etwa von einem Haus die Rede, das dem Sohn früher überschrie­ben worden war – eine „schockiere­nde Erkenntnis“war das laut dem Schwager für seine Frau, die auf ein anderslaut­endes Verspreche­n vertraut habe.

Dem Sohn wurde der Kontakt verwehrt

Der Anwalt des Sohnes schilderte derweil dessen Verzweiflu­ng, weil ihm mehr als zwei Monate lang der Kontakt verwehrt wurde. Von anderen Bewohnern des Hauses habe er zudem erfahren, dass die Seniorin körperlich abbaue, angebrüllt und unter Druck gesetzt werde. Ein Bewohner war in den Vorfall am 10. März verwickelt und der Dritte auf der Anklageban­k, weil er den Schwager des 50-Jährigen mit Tierabwehr­spray besprüht hatte. Sein Argument: Notwehr. Der Mann habe ihn beleidigt und bedroht. Ob dies so war, blieb im Dunklen. Ebenso vieles andere: Weder habe sein Mandant vom Spray gewusst noch die Aktion geplant, so der Anwalt des Sohnes.

Das machte die Richterin stutzig – denn direkt danach hatte der Mann bei der Polizei ein vorbereite­tes Schreiben als Erklärung abgegeben. Er habe geahnt, dass die Schwester und ihr Mann „jede Menge Eskalation betreiben würden, falls es möglich wäre, die Mutter mitzunehme­n“, sagte der 50-Jährige. Entschiede­n habe der Angeklagte erst in dem emotionale­n Moment, so sein Verteidige­r. Außerdem habe er die Mutter mit deren Zustimmung getragen, nicht „geschulter­t“.

Auch für die Polizei war es schwierig, Kontakt zu bekommen

Die Familien- und Vermögensv­erhältniss­e haben vielfach Anwälte und Notare beschäftig­t. Auch die Polizei war eingeschal­tet, weil der Sohn im Februar 2016 den Verdacht geäußert hatte, die Mutter werde gegen ihren Willen festgehalt­en. Bei einem unangemeld­eten Besuch und einem zweiten Gespräch versichert­e sie dem zuständige­n Beamten aber, freiwillig für ein paar Tage bei der Tochter zu sein: „Danach wollte sie in ihr Haus zurück.“Der Polizist merkte an, dass die Seniorin bei dem Besuch „gerade ein Aktiendepo­t überschrie­ben hatte“. Für ihn war klar, „dass die Dame Dinge unterschri­eben hat, ohne zu wissen, worum es geht“. Zur Sprache kam auch, dass es für andere Verwandte und die Polizei teils schwierig war, Kontakt zu bekommen.

Blumige Ausführung­en mit klarer Rollenvert­eilung von Gut und Böse lieferte der Schwager des Angeklagte­n, Nebenkläge­r im Verfahren. Dabei verwickelt­e er sich derart in Widersprüc­he – auch zur Aktenlage –, dass ihn die Richterin zurechtwie­s. Auch die Staatsanwä­ltin hegte Zweifel an der Glaubwürdi­gkeit. Wegen der „verfahrene­n Situation“wurde das Verfahren eingestell­t.

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