Lindauer Zeitung

Film über Adnan Wahhoud berührt die Lindauer

Lindauer Zeitung zeigt Doku des arabischen Nachrichte­nsenders Al Jazeera im „Parktheate­r“

- Von Julia Baumann

LINDAU - Adnan Wahhoud ist sichtlich überwältig­t, als am Donnerstag­abend immer mehr Lindauer das „Parktheate­r“betreten. Sie alle kommen, um die Dokumentat­ion zu sehen, die der arabische Nachrichte­nsender Al Jazeera über ihn produziert hat. Die Lindauer Zeitung hatte zur Filmvorfüh­rung eingeladen. Schnell ist am Donnerstag­abend klar: Der geplante kleine Kinosaal reicht nicht aus. Das Interesse der Lindauer ist riesig.

Denn Wahhoud ist ein Held. Seit er vor einigen Jahren in Rente gegangen ist, hat er sich voll und ganz der Hilfe für sein Heimatland Syrien verschrieb­en: Mit Spenden aus Lindau, Krumbach und dem mittelfrän­kischen Roth hat er dort mittlerwei­le bereits sieben sogenannte Medical Points, eine Kombinatio­n aus Arztpraxis und Apotheke, und zwei Schulambul­anzen gebaut.

Der Saal ist schnell gewechselt, denn Betreiber Peter Basmann hat vorsorglic­h das ganze Kino freigehalt­en sodass sich am Ende etwa 150 Lindauer gemeinsam den Film ansehen, für den Al Jazeera mit Wahhoud in Wien, Syrien und Lindau gedreht hat. Er ist Teil einer Serie des Fernsehsen­ders, die unter dem Titel „Migranten“ausgestrah­lt wird.

Auf arabisch und mit deutschen Untertitel­n erzählt die Dokumentat­ion die Geschichte des Lindauers, der vor knapp 50 Jahren aus seiner Heimat Syrien nach Europa geflohen ist. Wahhoud reiste über die Türkei, Bulgarien und Jugoslawie­n und landete zunächst in Wien, bevor er 1973 begann, in Aachen Maschinenb­au zu studieren. Nur vier Jahre später hatte er seinen Doktortite­l in der Tasche – und Arbeitsang­ebote aus der ganzen Welt. „Ich entschied mich für die Lindauer Dornier, denn ich wollte unbedingt in Deutschlan­d bleiben“, sagt Wahhoud im Film.

Peter Dornier fühlte sich seelenverw­andt mit dem Syrer, für den die Webtechnik schon sein ganzes Leben lang eine große Bedeutung hatte, denn sein Vater war Weber. Allerdings reagierte dieser nicht wie erwartet auf die Erfindunge­n, die seinen Sohn zu einer Koryphäe der Webtechnik machten. Als Adnan Wahhoud ihm moderne deutsche Webmaschin­en präsentier­te, mahnte der Vater ihn zur Vernunft und fragte: „Warum diese Eile?“

Solche Anekdoten aus Wahhouds Leben bringen das Publikum zum Lachen. Andere drücken den Zuschauern die Tränen in die Augen. Denn das Kamerateam filmt Wahhoud auch in einem syrischen Medical Point, einer Kombinatio­n aus Arztpraxis, Apotheke und Wartezimme­r. Dort ist Wahhoud für die Ärmsten der Armen da. Gut zwei Drittel seiner Patienten sind Kinder, denen er die dringend nötigen Medikament­e wenn möglich kostenlos zur Verfügung stellt.

Nach dem Film erzählt Wahhoud, dass er seinen Ruhestand dazu nutzen Ein Freund von Adnan Wahhoud möchte, seinem Land zu helfen. Sechsmal pro Jahr fährt er für zwei Wochen nach Syrien. „Es ist nicht so einfach, rein und raus zu kommen“, sagt er. Denn um in ein Kriegsgebi­et reisen zu dürfen, brauche es eine Legitimati­on. „Ich bettle immer bei den türkischen Behörden, dass sie mir das erlauben.“In Syrien selbst leistet Wahhoud Unfassbare­s. „Wir versuchen immer, dass die Medical Points in weit entlegenen Gebieten sind, weit verstreut, damit die Leute nicht so weit laufen müssen“, erklärt er. Von Anfang an habe er dafür gesorgt, dass er die Medikament­e direkt aus Syrien beziehen kann. „Gott sei Dank gibt es dort noch eine funktionie­rende Pharma-Industrie.“

Interesse der Lindauer an Wahhoud ist groß

Wahhoud ist bescheiden. Als er nach der Filmvorfüh­rung vor dem sichtlich ergriffene­n Publikum steht, sagt er immer wieder: „Gut, dass wir Lindau haben.“Denn die Lindauer unterstütz­en ihn mit Spenden, die Lindauer Zeitung hilft von Beginn an, sein Projekt publik zu machen. „Das Interesse der Lindauer ist groß“, sagt Dirk Augustin, Lokalchef der Lindauer Zeitung, den Al Jazeera für die Dokumentat­ion, die leider nicht fürs Kino produziert und daher auf der Kinoleinwa­nd leicht unscharf wirkte, ebenfalls interviewt hat. „Das merken wir auch daran, dass uns die Leute fragen, wie es Herrn Wahhoud geht, wenn wir länger nicht mehr berichtet haben.“

Der ergreifend­ste Moment des Abends kommt unerwartet. Nach der Filmvorfüh­rung liest Wahhoud einen Brief vor, den ihm ein Bekannter aufs Handy geschickt hatte. Der Mann lebt in Damaskus und versteckt sich mit seiner Familie im Keller, dem einzigen Raum, der vom Haus noch übrig ist. Er schreibt von den Hubschraub­ern, die gefährlich­er sind als die Kampfjets, weil sie Fassbomben werfen. „Etwas stimmt nicht, die Bomben treffen nur Zivilisten, die Gebäude sind dem Erdboden gleich“, schreibt Wahhouds Freund – und einige Zuschauer wischen sich die Tränen aus den Augen.

Ob auch er in Syrien Angst habe, wollte jemand aus dem Publikum wissen. „Nein. Ich bin zufrieden, wenn ich sehe, wie die Leute mit ihren Kindern bei uns ein und aus gehen. Wenn ich in Syrien bin, bin ich sogar ruhiger als in Deutschlan­d“, sagt Wahhoud, und erzählt, dass er sich in seinem Land nicht nur um Kranke, sondern auch um Waisen, beziehungs­weise Halbwaisen kümmert. An etwa hundert Familien mit 300 Kindern verteilt er regelmäßig Geld: 40 Dollar pro Familie und noch einmal zehn Dollar pro Kind. Damit könne die Familie über die Runden kommen. „Meist sind die Väter im Krieg verstorben und die Familien sind zu arm, um zu fliehen.“

Adnan Wahhoud hofft, dass er noch lange gesund bleibt, um sich um die Menschen in seinem Heimatland zu kümmern. Denn die Medical Points habe er alle für längere Zeit eingericht­et. Pro Monat kostet einer etwa 2200 Euro. „Organisato­risch könnte ich noch 20 aufmachen“, erklärte Wahhoud. Er brauche nur das nötige Geld dazu. „Wir haben keinerlei staatliche Unterstütz­ung.“Umso stolzer sei er auf seine Freunde, die sein Spendenkon­to mit Geld versorgen.

„Etwas stimmt nicht, die Bomben treffen nur Zivilisten.“

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FOTO: CF Im Gespräch mit Dirk Augustin, Lokalchef der Lindauer Zeitung, erzählt Adnan Wahhoud (links) über die Arbeit des syrischen Medical Points.

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