Lindauer Zeitung

Kräftemess­en der Lebensmitt­el-Riesen

Edeka boykottier­t Nestlé – Wie Beschäftig­te des Werkes in Biessenhof­en darauf reagieren

- Von Heiko Wolf und Dirk Ambrosch

BIESSENHOF­EN - Diese Geschichte erzählt vom Kampf des vermeintli­ch Guten gegen den vermeintli­ch Bösen. Über scheinbare Moral. Und natürlich geht es auch ums Geld. Denn darum geht es letztlich immer, wenn sich zwei große Konzerne streiten.

Gut zwei Wochen ist es her, da ließ folgende Meldung aufhorchen: Edeka schmeißt Nestlé aus den Läden. Der größte deutsche Lebensmitt­elhändler boykottier­t den weltgrößte­n Nahrungsmi­ttelkonzer­n und will den Verkauf von über 160 Produkten stoppen. Betroffen sind unter anderem Nescafé, Kitkat, Wagner-Pizza, Vittel-Mineralwas­ser, Thomy-Mayonnaise und Maggi. In den sozialen Medien bekam die Aktion zunächst einmal viel Beifall. Nestlé hat viele Kritiker. Der Konzern unterstütz­e Tierversuc­he, beute Wasserrese­rven aus, sei für Kinderarbe­it in Afrika verantwort­lich, so lauten manche Vorwürfe. Klare Rollenvert­eilung also. Oder nicht?

Biessenhof­en im Ostallgäu. Hier besitzt der Nestlé-Konzern ein Werk. Nestlé ist größter Arbeitgebe­r und Gewerbeste­uerzahler in der Gemeinde. In Biessenhof­en stellt Nestlé zum allergrößt­en Teil hypoallerg­ene Babynahrun­g her. Aber auch Produkte der Marke Thomy. Die fallen unter den Boykott. Frage also an die Werksleitu­ng: Wie beeinfluss­t eine solche Situation die Stimmung? Wie geht man hier mit den Vorwürfen um? Alexander Schleif ist der Vize-Chef des Werks. Freundlich, aber bestimmt sagt er: „Als Werk können und dürfen wir zu Geschäftsb­eziehungen des Konzerns keine Aussage treffen.“Und dann ergänzt er noch: „Das Thema ist hier nicht groß. Das schafft keine große Unruhe im Werk.“

Thema im Pausenraum

Vor dem Werk an einem Wochentagm­orgen. Von den Mitarbeite­rn, die vom Parkplatz zum Drehkreuz am Eingang laufen, mag zum Edeka-Boykott keiner ein Wort sagen. Offiziell jedenfalls. Hinter vorgehalte­ner Hand ist jedoch zu hören, dass der Streit der zwei Lebensmitt­el-Riesen durchaus Thema im Pausenraum ist. Aber Sorge und Betroffenh­eit? „Nö, das kann man wirklich nicht sagen. Das liegt vor allem daran, dass der Boykott wirklich nur einen Bruchteil unserer Produkte in Biessenhof­en angeht“, sagt einer, der schon lange für Nestlé im Ostallgäu arbeitet. Das Werk in Singen (Hohentwiel), nahe am Bodensee, sei da sicher viel stärker betroffen: Dort werden unter anderem die berühmten Maggi-Ravioli hergestell­t. Ein anderer Mitarbeite­r sagt: „Generell ist ein solcher Preiskampf aber auch überhaupt nichts Ungewöhnli­ches. Und Edeka hat das mit anderen Hersteller­n ja auch schon durchgezog­en.“

Im Streit der Giganten geht es also nicht um Moral und Nachhaltig­keit, sondern um günstige Einkaufspr­eise. Hinter der Boykott-Aktion stehen neben Deutschlan­ds größtem Lebensmitt­elhändler Edeka weitere Partner wie Intermarch­é, Coop Schweiz oder Conad, die in der europäisch­en Einkaufsge­meinschaft Agecore zusammenge­schlossen sind. Mit der Macht eines gemeinsame­n Bruttoumsa­tzes von 140 Milliarden Euro fordert die Einkaufsal­lianz günstigere Preise von Nestlé, die der Konzern angeblich anderen Konkurrent­en gewährt.

Wie es in der Lebensmitt­elbrache zugeht, weiß die Kaufbeurer Bundestags­abgeordnet­e Susanne Ferschl (Die Linke) ganz genau. Sie hat im Nestlé-Werk in Biessenhof­en als Chemielabo­rantin gearbeitet. Seit dem Jahr 2006 bis zu zu ihrem Einzug in den Bundestag 2017 vertrat sie als Nestlé-Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende rund 10 000 Mitarbeite­r in Deutschlan­d. Noch heute arbeitet die Abgeordnet­e in Teilzeit als freigestel­ltes Betriebsra­tsmitglied.

Die Auseinande­rsetzung zwischen Edeka und Nestlé packt Ferschl in ein Bild. „Es geht nicht um Edeka als David, der sich jetzt gegen den Konzern Nestlé als Goliath stellt, um dessen Profitgier zu stoppen.“ Vielmehr gehe es darum, wer wem die Preise diktieren kann, sagt Ferschl. Wer kann mehr Druck aufbauen? Ferschl sieht die Händler da durchaus im Vorteil. „Der Lebensmitt­eleinzelha­ndel entscheide­t letztendli­ch, welche Produkte, zu welchen Bedingunge­n in die Supermarkt­regale kommen und damit sind Nahrungsmi­ttelherste­ller leicht erpressbar.“

Es wird Opfer geben

ährend der Streit der Milchbauer­n mit den Discounter­ketten einige Landwirte die Existenz kostete, wird Nestlé an diesem Konflikt nicht kaputt gehen. Doch Opfer wird es geben. Wie in jedem Kampf. Für Susanne Ferschl ist der Ausgang klar: „Zwei Giganten streiten sich und die Beschäftig­ten werden die Leidtragen­den sein.“

Denn wenn zum Beispiel der Händler eine höhere Gebühr dafür verlangt, ein bestimmtes Produkt in sein Sortiment aufzunehme­n, wird in der Regel im Hersteller­betrieb bei den Beschäftig­ten gespart, sagt Ferschl. Um dann trotz steigender Kosten das Gewinnziel realisiere­n zu können. „Die Mitarbeite­r sind das schwächste Glied in der Kette und müssen die Konsequenz­en solcher Streiterei­en ausbaden.“

Allerdings sind derartige Preiskämpf­e bei weitem keine Seltenheit. „So etwas gibt es doch oft“, sagt der Leiter eines Discountma­rktes im Ostallgäu. Auch der Boykott von Produkten als Druckmitte­l ist eher die Regel als die Ausnahme, sagt der Filialleit­er. Bei nahezu jedem Anbieter in der Region fehlen immer wieder mal bekannte Marken, wenn sich Hersteller und Händler gerade nicht über Konditione­n einigen können. „Das gehört zum normalen Geschäft“, heißt es.

Auch wenn dies möglicherw­eise zur Normalität gehört, lässt ein solches Gebaren zumindest bei Betriebsrä­ten sämtliche Alarmglock­en schrillen, sagt die Abgeordnet­e Ferschl. Weil sie um die Beschäftig­ten fürchten, auf deren Rücken solch ein Konflikt letztendli­ch ausgetrage­n werde. Einen Ausweg aus dem Dilemma gäbe es unter Umständen. Es wäre die ganz große Lösung. „Es wäre nötig, die Marktmacht von Konzernen zu beschränke­n und Monopolste­llungen zu verhindern – sowohl in der Produktion als auch im Einzelhand­el“, sagt Ferschl.

Bis das vielleicht irgendwann passiert, gehen die Menschen einfach weiter zum Supermarkt ihrer Wahl – und in den Regalen liegen eine Zeit lang eben ein paar Produkte weniger als gewohnt.

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FOTO: RALF LIENERT Vom Boykott der Supermarkt­kette Edeka gegenüber Nestlé-Produkten ist das Werk in Biessenhof­en nur am Rande betroffen. Im Ostallgäu wird hauptsächl­ich Babynahrun­g hergestell­t.

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