Lindauer Zeitung

Zuschauer lieben und erleiden den Werther

Aufführung des Salzburger Landesthea­ters trifft in Lindau auf geteilte Meinungen

- Von Dirk Augustin

LINDAU - Die Meinungen nach dem Gastspiel des Salzburger Landesthea­ters mit „Die Leiden des jungen Werther“sind geteilt. Vor allem junge Zuschauer sind begeistert, während die älteren rätseln oder sogar empört reagieren. Eins aber ist klar: Langweilig war dieser Theaterabe­nd sicher nicht.

Die Geschichte ist so alt wie die Menschheit: Zwei Männer buhlen um eine Frau. Da ist der stürmische Werther, den Hanno Waldner voller Energie, Tatendrang und schöpferis­cher Kraft spielt. Und da ist der ausschließ­lich grau gekleidete Albert, den Tim Oberließen bodenständ­ig, verlässlic­h und vor allem sehr eifersücht­ig gibt. Dieser Albert ist sehr viel lebendiger als der, den Goethe selbst vorgestell­t hat. Und dazwischen steht Janina Raspe als Lotte, die mit Werther kokettiert, seine Annäherung gerne sieht, die aber auch Albert nicht verletzen will und letztlich bei ihm bleibt.

Was Goethe vor fast 250 Jahren aufgeschri­eben hat, ist natürlich auch heute aktuell. Und man kann sogar die Sprache von damals in einer Weise präsentier­en, dass junge Menschen kaum merken, wie alt diese Sätze sind. So gelingt Regisseur Johannes Ender, der den Stoff auch für diese Bühnenfass­ung bearbeitet hat, eine zeitgemäße Umsetzung.

Poppige Elemente erreichen das junge Publikum

Gelungen ist auf jeden Fall die Umsetzung des Briefroman­s auf die Bühne. Gut die Idee, Lotte und Albert als Erzähler zu nehmen, die durch die Geschichte führen. Dabei erzählen sie strikt von Kennenlern­en, Verliebthe­it, Distanz, Eifersucht, Trennung, Wiedersehe­n, Werthers Suizid, Alberts Trennung von Lotte und deren Ende, das offen bleibt. Überzeugen­d gelingt das durch das Spiel der jungen Darsteller.

Allerdings setzt Regisseur Enders zu sehr auf poppige Elemente, um sein junges Publikum zu erreichen. Das geht noch, als er seine Traumwelte­n erschafft, indem er mit Lotte zu Pinsel und Farbe greift, um die Wände zu bemalen. In einer anderen Szene tauchen aber plötzlich Dinos auf, die sich erst bekriegen und dann miteinande­r und mit Werther tanzen. Das sorgt für Lacher bei den erfreulich vielen Schülern im Publikum und für Stirnrunze­ln bei den Zuschauern, denen die Klassikern fast heilig sind. Das steigert die Salzburger Truppe in einer anderen Szene mit einem Ausflug ins All, bei der sie Star Wars, Star Trek und andere Science-Fiction-Filme zitieren und persiflier­en. So kann man sich für junges Publikum attraktiv machen, dann muss man aber hinnehmen, dass Liebhaber der Klassik den Saal vorzeitig verlassen.

Und wer geblieben ist, spürt vom berühmten Werther-Effekt kaum etwas. Denn es ist bekannt, dass sich viele junge Menschen nach Erscheinen des Dramas wie Werther selbst aus Liebeskumm­er getötet haben. In dieser Inszenieru­ng ist aber so vieles ironisch gebrochen – offensicht­lich haben Akteure und Regisseur Angst, das junge Publikum könnte die Gefühle für peinlichen Kitsch halten – sodass Werthers Selbsttötu­ng niemanden im Saal packt.

Aber vielleicht muss man das heute so spielen, wo Jugendlich­e sich in wenigen Zeichen übers Smartphone verständig­en und ihre Dates von Apps aussuchen lassen. Wobei es auch nicht geschadet hätte, sie mit Gefühlen ohne ironischen Kommentar zu behelligen. Denn im echten Leben müssen sie damit auch klarkommen.

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FOTO: ANNA-MARIA LÖFFELBERG­ER Weil Werther sich immer wieder zwischen sie drängt, sind Lotte (Janina Raspe) und Albert (Tim Oberließen) nicht glücklich.

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