Ernst Lossas Tod kommt auf die Bühne
Nach wie vor findet Robert Domes’ packender Roman „Nebel im August“ein starkes Echo
IRSEE/MEMMINGEN - Seit 15 Jahren begleitet Robert Domes ein Junge, der längst tot ist. Ernst Lossa hieß er und entstammte einer jenischen Familie. Die Nazis sperrten ihn in den Heil- und Pflegeanstalten von Kaufbeuren und Irsee ein. Im Jahr 1944 wurde der 14-jährige mit den sanfttraurigen Augen, angeblich ein „triebhafter Psychopath“, durch eine Überdosis Morphium getötet, die ihm Pfleger verabreichten. Robert Domes schrieb die Geschichte von Ernst Lossa auf – in einem biografischen Roman mit dem Titel „Nebel im August“. 2008 veröffentlichte der Irseer Autor und Journalist das Buch über das grausame Schicksal dieses Jungen, der in die Tötungsmaschinerie des nationalsozialistischen „Eutanasie“-Programms geraten war. Vorausgegangen waren fünf Jahre des Recherchierens und Schreibens.
„Nebel im August“fand ein großes Echo. Die ergreifende Geschichte und die sensible Sprache Domes’ berührten offenbar die Leser. Schulen erhoben den Roman zur Pflichtlektüre. Auch das Kino entdeckte den packenden Stoff: 2016 kam der gleichnamige Kinofilm von Kai Wessel in die Kinos; trotz guter Kritiken erreichte er allerdings kein großes Publikum.
Nun kommt Ernst Lossas Leben und Sterben auch auf die Bühne. „Nebel im August“wird am kommenden Freitag im Landestheater Schwaben in Memmingen uraufgeführt. Regie führt die Intendantin Kathrin Mädler. Auch sie hat sich von Domes’ Roman packen lassen. Schon bevor sie 2016 ins Allgäu kam, war ihr das Buch in die Hände gefallen. Schnell sei für sie klar gewesen, dass der Stoff ins Theater gehöre, nicht nur wegen des Einzelschicksals Ernst Lossas. Generell, so sagt Mädler, habe sie ein großes Interesse daran, die Nazizeit in ihrem Haus zu thematisieren. „Es lohnt sich, genau hinzuschauen“, sagt sie.
Doch wer sollte den Roman bearbeiten? Mädler wollte dies nicht selbst machen und besprach sich mit dem Hamburger Verleger Lauke, der inzwischen die Rechte für Theateraufführungen von „Nebel im August“besitzt. Sie entschieden sich, bei einem Hochkaräter anzuklopfen: John von Düffel. „Ich schätze ihn als Dramatiker wie als Bearbeiter“, sagt Mädler.
Von Düffel, der in Potsdam lebt, sagte zu und nahm Kontakt auf mit Autor Domes. Es folgten viele Telefonate, E-Mails und ein langes Treffen. Der erfahrene Theatermann von Düffel entschied sich, nicht das Leben des Jungen nachzuerzählen, sondern die „Euthanasie“im Allgemeinen und den Fall Lossa im Besonderen auf Basis des Prozesses zu erzählen, der 1949 gegen den damaligen Kaufbeurer Anstaltsleiter Dr. Faltlhauser in Augsburg geführt wurde. Die Besucher im Landestheater werden deshalb eine Montage erleben aus Prozessakten, Zeugenaussagen und Berichten über die „Euthanasie“während des Nationalsozialismus’. Und sie werden sich „mit Schuld und Schmerzen“auseinandersetzen, wie Regisseurin Mädler ankündigt. Mit Fragen, wo Menschlichkeit anfängt, und wo sie aufhört. Deshalb sei „Nebel im August“auch so aktuell, wenngleich eine Geschichte aus der Vergangenheit verhandelt werde. Nur die Täter im Blick? Robert Domes war, das gibt er zu, anfangs skeptisch. Ist das Stück nicht zu täterlastig? Inzwischen sind seine Zweifel verflogen. „John von Düffel ist es gelungen, auch den Opfern einen Raum zu geben“, sagt Domes, der schon Proben in Memmingen gesehen hat.
Zur Uraufführung kann Düffel allerdings nicht kommen. Er ist aber im April zu Gast bei einem TheaterSeminar, das Stefan Raueiser in seinem Schwäbischen Bildungszentrum in Irsee organisiert – just an jenem Ort, an dem Ernst Lossa 1944 getötet wurde. Bei einem öffentlichen Theatergespräch (siehe Infokasten) wird von Düffel zusammen mit Robert Domes, Kathrin Mädler und Schauspielern des Landestheaters über „Euthanasie“und Ernst Lossas tragisches Schicksal reden.
Seit Robert Domes 2003 auf Ernst Lossa stieß hat ihn der Junge nicht mehr losgelassen. Nach wie vor ist der 56-Jährige in ganz Deutschland unterwegs, um von seinen Recherchen zu erzählen, den Kinofilm zu zeigen und darüber zu diskutieren, und um aus seinem Buch zu lesen. „Der Roman ist kein Bestseller geworden“, sagt Domes. „Aber ein Longseller.“