Alles erstunken und erlogen
Die Württembergische Landesbühne Esslingen steht mit „Schtonk!“auf der Bühne des Stadttheaters
LINDAU - Hitlers gefälschte Tagebücher sind im Mai 1983 aufgeflogen und gerieten für das Wochenmagazin „stern“zum Fiasko. Für Helmut Dietl und Ulrich Limmer war das ein gefundenes Fressen. Ihre Filmsatire „Schtonk!“von 1992 schaffte es bis zur Oscar-Nominierung. Mit „Schtonk!“in der Bühnenfassung von Marcus Grube gastierte die Württembergische Landesbühne Esslingen am Samstagabend im Stadttheater.
Nach „Der Trafikant“und „Die Kirche bleibt im Dorf“ist das Esslinger Ensemble zum dritten Mal in dieser Spielzeit nach Lindau angereist. Wiederum mit großem Bühnenbild und dreizehn Akteuren. Darunter Wieland Backes, der sich von den Esslingern immer wieder einmal engagieren lässt. Im Mittelpunkt dieses Spiels um Lügen und Intrigen steht Fritz Knobel (Martin Theuer) alias Konrad Kujau. Er eröffnet die Szene quasi mit einem Sprung ins kalte Wasser. Biggi, seine Frau (Sofie Alice Miller), versucht er als Eva Braun malerisch und in Öl in Szene zu setzen. Doch bei allem Bitten und Betteln ergreift sie die Flucht. Schließlich klappt es mit dem Barmädchen Martha (Nina Mohr).
Ein durchgeknallter Willié
Zum Kontrahenten von Knobel gerät Hermann Willié (Oliver Moumouris). Vollkommen durchgeknallt und affektiert gibt er den Hampelmann, der in seiner Dummdreistigkeit keine Grenzen kennt. Ihn steckt Freya von Hepp (Sabine Bräuning) als die einzige bei Sinnen Gebliebene in den Bademantel ihres Onkels Hermann Göring. Drei Nummern zu groß für Willié, doch zusehends wächst seine Figur in das wallende Gewand hinein. Er in der Rolle des einstigen Starreporters des Hamburger „stern“Gerd Heidemann muss sich profilieren. Muss einen nächsten „Knaller“auftun – um jeden Preis. Am Schluss hat er neun Millionen Mark verzockt und die „stern“- Chefetage ist blamiert bis auf die Knochen.
Marcus Grubes Inszenierung ist ein lustvoll satirisches Bühnenspektakel, das den Zuschauern einen heiteren Abend bereitete. Mit einem quirligen, um keinen noch so großen Deal verlegenen Martin Theuer. Er sitzt in seiner Bude und schreibt sich an rund 60 Kladden auf altem DDRPapier die Finger wund. Währenddessen schwadroniert Willié mit dem nächsten Geldkoffer herein, denn längst hat er die Chefredakteure um den Finger gewickelt. Aberwitzige Dialoge hoch oben auf dem Steg von Williés Yacht übersteigen die Vorstellungskraft dessen, was man aus der Distanz für möglich hält. Die Herren in den dunklen Anzügen um den jung dynamischen Dr. Guntram Wieland (Marcus Michalski), den abgestandenen Uwe Esser (Wieland Backes) und Obersturmführer von Klantz (Reinhold Ohngemach) machen gemeinsame Sache. Sie gleichen selbstsüchtigen Kindern in der Sandkiste, nur dass es hier nicht um Backformen geht. Szenen, die von Wagner-Hymnen beschallt sind oder von Ausschnitten aus Charly Chaplins Klassiker „Der Diktator“feuern den Lustfaktor an. Wenn Willié sich am Entziffern von Hitlers originaler altdeutscher Schrift verrenkt und als Eintrag für den 24. Februar 1940 dort steht: „Die übermenschlichen Anstrengungen verursachen Blähungen im Darmbereich. Und Eva sagt, ich habe Mundgeruch.“
Evas und Adolfs Asche
Ebenso banal wie zum Himmel schreiend komisch ist Knobels Dreistigkeit, nachdem er den Saal halb unter Qualm gesetzt hat, seinem Freund Willié einen Pokal mit Evas und Adolfs Asche unter die Nase zu reiben. Martin Theuer reizt aus, was geht, und so richtig übel will man es ihm nicht nehmen. Eigentlich keinem in dieser Inszenierung, scheint es doch bloß ein Spiel, eine Art Kabarett zu sein. Was Grubes Satire im Zeitalter der „Fake News“bewirken will, ist ein genaues Hinschauen auf das, was täglich durch die Medienkanäle bei den Menschen ankommt. Tut sie das, oder ist es einfach nur ein amüsanter Abend gewesen?
Am Theatergespräch mit Intendant Friedrich Schirmer und Kulturamtsleiter Alexander Warmbrunn nach der rund zweistündigen Aufführung bestand seitens der Besucher kein Interesse. Also doch nur ein lustiges Vergnügen? Das auf jeden Fall und hoffentlich auch ein Anstoß zum Hinterfragen. Wenn auf dem Gipfel der Frechheit angelangt, Willié Hitlers Tod infrage stellt, um zu retten, was zu retten ist.