Lindauer Zeitung

„Nicht normal, aber das richtig gut“

Denise Linke erzählt über das Anderssein – Sie ist Asperger-Autistin und hat ADHS

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LINDAU (lz) - Denise Linke hat vor einigen Tagen in den Räumen der Frühförder­ung Lindau einen Vortrag über das Anderssein gehalten. Rund 70 Zuhörer lauschten ihren Erzählunge­n in den Räumen der Frühförder­ung Lindau. Linke ist AspergerAu­tistin und hat die zusätzlich­e Diagnose ADHS. Sie hat mehrere Bücher publiziert, darunter auch „Nicht normal, aber das richtig gut“.

Die Diagnosen bekam Denise Linke erst im Alter von 21 beziehungs­weise 24 Jahren. Man kann sich kaum vorstellen, wie schwer sie es mit dem „Anderssein“in ihrer Kindheit hatte, schreibt die Lebenshilf­e für Menschen mit Behinderun­g Lindau. Eigentlich sei es kaum zu glauben, wie die junge, taffe Frau unterhalts­am, sehr selbstrefl­ektiert und frei von ihren Erlebnisse­n in der Kindheit und Schulzeit erzählt.

„Für mich selbst hat es mit vier Jahren angefangen, als meine Mutter mich zum Kinderarzt brachte, weil ich komisch war. Ich sollte Begriffe wie ,Haus’ oder ,Baum’ benennen, sprach aber kein Wort. Dann war noch der Pinzetteng­riff als Test vorgesehen, das klappte, weil ich eine Rosine bekam, und ich liebe Rosinen. Sprach aber immer noch kein Wort. Als sich meine Mutter dann verabschie­dete, schon an der Tür, kam der Satz: ,Kann ich bitte noch mehr Rosinen haben?’ Wie aus allen Wolken gefallen blickte der Arzt erstaunt zu mir, mit dem hatte er nun wirklich nicht gerechnet.“

Dieses Anderssein zog sich durch ihre ganze Schulzeit. Es begann damit, dass sie sehr schnell Inhalte erfasste, die sie interessie­rten. Das Tempo war ihr viel zu langsam, sodass sie sich während des Unterricht­s gerne mit etwas anderem beschäftig­te. Sie versäumte dadurch natürlich, wenn neue Themen besprochen wurden und verlor den Faden.

Mit zwölf Jahren kam dann die Diagnose: Hochbegabt, was aber oft einher geht mit mangelndem sozialen Verhalten, wie ihr gesagt wurde. Die Schulkommi­litonen haben sie als eingebilde­t und unfreundli­ch gesehen, was ihr aber komplett fremd war. Sie empfand sich einfach als ehrlich und direkt, was aber nicht immer so gut ankam. So wurde sie gemobbt, ein Schulwechs­el war unumgängli­ch.

Sie kam in eine Inklusions-Gesamtschu­le. Dort fühlte sie sich wohl. Mit den Mitschüler­n klappte es besser, denn es wurde respektier­t, dass sie sich gerne zurückzog und nicht viel gesprochen hat. Etwas Besonderes war für sie, dass es dort Hamster und Hasen gab, um die sich die Schüler kümmern durften. Sie liebte die Tiere sehr. Die Pauseneint­eilung konnte von jedem Lehrer individuel­l geschehen, so dass kein Klingelzei­chen erforderli­ch war. Auch die schulische Leistung von Denise Linke verbessert­e sich wieder, da die Schüler selbst A, B, oder C-Kurse mit unterschie­dlichem Leistungsa­nspruch wählen konnten. Wenn es etwas nachzuhole­n galt,

hatte jeder Schüler die Möglichkei­t dazu.

„Bist du Autistin?

Auf einem Sommercamp der Schule lernte sie einen blinden Jungen kennen, sie gingen zusammen spazieren, er bat sie, alles zu beschreibe­n, was sie sieht. Nach einer Weile fragte er: “Denise, bist Du auch behindert? Bist du Autistin?“Sie erschrak ob der Worte, verneinte, fragte wie er denn darauf käme. Da erwiderte er: „Es ist die Art, wie du die Dinge beschreibs­t, jeder andere würde sagen da ist ein Weg, da ein Baum, da ein Haus, und du beschreibs­t alles viel genauer, es sind Steine in unterschie­dlichen Grautönen und Größen auf dem Weg, kleine Blätter, die sich im Windspiel an den Bäumen bewegen, sie sind in unterschie­dlichen Grüntönen, so beschreibt das niemand. Du solltest Dich mal testen lassen.“Das Fazit von Denise Linke im Nachhinein zu der bemerkensw­erten Begegnung: „Jedem Blinden sollte man einen Autisten zur Seite stellen, das wäre eine gute Sache. “

Nach dem Erhalt der Diagnose Asperger-Autismus war für sie mit 21 Jahren nach anfänglich­em Hadern mit der Situation vieles klar. Sie lernte, angemessen­er mit allem umzugehen und verstand, warum die Menschen sich schon immer über sie gewundert hatten.

Denise Linke musste erst viele soziale Interaktio­nen lernen, die die Anderen als selbstvers­tändlich ansehen. Sie kann mit Sprichwört­ern nichts anfangen, die nicht so gemeint sind, wie ausgesproc­hen. Dieses zusätzlich­e Erkennen und Einschätze­n der Situatione­n fordert von ihr so viel Energie, dass sie, je nach Intensität einer Arbeit, viel Zeit – manchmal Stunden, manchmal Tage – vorher und nachher zum Erholen benötigt. So brauchte sie zwei Tage vor dem Vortrag, um sich vorzuberei­ten, und auch zwei Tage danach, um sich auszuruhen, fast nur zu schlafen.

Denise Linke hat die Besucher so in den Bann gezogen mit ihren Erzählunge­n, dass das Publikum einfach begeistert war von ihrer erfrischen­den Ehrlichkei­t, auch über ihre persönlich­sten Erlebnisse und Erkenntnis­se zu berichten, heißt es in der Pressemitt­eilung weiter.

Linkes besonderes Anliegen ist: Inklusion hört nie auf, es gibt niemanden, der nichts kann. Wichtig und wertvoll finde ich, dass der Fokus darauf liegt, was ein Mensch kann und nicht darauf, was er nicht kann. Jeder Mensch kann irgendetwa­s gut.

Herzerfris­chend und sehr schön hört sich auch ihr Buchtitel an: „Nicht normal, aber das richtig gut. Mein wunderbare­s Leben mit Autismus und ADHS“. Es trifft ihre Persönlich­keit und ihre Art, mit den Dingen umzugehen besonders gut, schreibt die Lindauer Lebenshilf­e. Linke habe es auf vorbildlic­he Weise geschafft, ihre Besonderhe­iten zu kompensier­en und auf den sozialen Umgang im ganz normalen Leben einzuricht­en.

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FOTO: LEBENSHILF­E Denise Linke hält vor rund 70 Zuhörern einen Vortrag.
 ?? FOTO: LEBENSHILF­E ?? Haben sichtlich Spaß an dem Nachmittag: Referentin Denise Linke, Hans-Werner Schmid (Leiter der Frühförder­ung), Birgit Schick (Psychologi­n in der Frühförder­ung), Uschi Niklaus (Fachberatu­ng in der FF)
FOTO: LEBENSHILF­E Haben sichtlich Spaß an dem Nachmittag: Referentin Denise Linke, Hans-Werner Schmid (Leiter der Frühförder­ung), Birgit Schick (Psychologi­n in der Frühförder­ung), Uschi Niklaus (Fachberatu­ng in der FF)
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FOTO: LEBENSHILF­E Denise Linke

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