Lindauer Zeitung

Luftfahrt statt Latein

Florian Stöberl unterricht­et normalerwe­ise am Gymnasium – Derzeit arbeitet er aber bei Liebherr Aerospace

- Von David Specht

KEMPTEN/LINDENBERG - Florian Stöberl ist 45 Jahre alt und unterricht­et normalerwe­ise Latein und Englisch am Carl-von-Linde-Gymnasium in Kempten. Für ein Jahr tauscht Stöberl nun Kreide und Rotstift gegen Mitarbeite­rausweis und Stempelkar­te. Er ist einer von zehn Pädagogen aus Bayern, die am bundesweit einmaligen Projekt „Lehrer in der Wirtschaft“teilnehmen. Das Projekt bietet Lehrern die Möglichkei­t, sich ein Bild von der Arbeit in einem Unternehme­n zu machen. Diese Erfahrung sollen sie an ihre Schüler weitergebe­n und so das Verhältnis zwischen Schule und Wirtschaft verbessern.

Seit September arbeitet der Wildpoldsr­ieder bei Liebherr Aerospace in Lindenberg (Westallgäu). Florian Stöberl ist in der Abteilung für Qualitätsm­anagement tätig. Er wird im Team für kontinuier­liche Verbesseru­ng eingesetzt und arbeitet bei internen Optimierun­gsprojekte­n mit. „Ein tiefes Fachwissen steht dort nicht im Vordergrun­d“, erklärt Ulrich Thalhofer, Personalch­ef bei Liebherr-Aerospace. Wichtig für diese Aufgabe sei es, über Methodenko­mpetenz und gesunden Menschenve­rstand zu verfügen. „Dabei kann auch die Erfahrung aus der Schule helfen“, sagt Thalhofer. Oftmals sei es ein Vorteil, wenn ein Mensch von außen auf die Abläufe blicke. „Eine neue, unverstell­te Sicht ist wertvoll“, sagt Thalhofer.

Die Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH nimmt zum zweiten Mal einen Lehrer für ein Jahr bei sich auf. Für diese Zeit erstattet das Unternehme­n das Gehalt des Lehrers. Ein gutes Netzwerk zwischen Schulen und der Wirtschaft sei wichtig, um junge Menschen bei der Berufswahl zu unterstütz­en, sagt Thalhofer.

Die Lehrer sollen in ihrem Wirtschaft­sjahr einmal über den Tellerrand hinausblic­ken. „Ein Manko, das wir haben, ist, dass Lehrer nach der Schule studieren und dann wieder in die Schule gehen. Die müssen da auch mal raus“, glaubt Thalhofer, der selbst aus einer Lehrerfami­lie kommt. Ein weiterer Grund, wieso Stöberl bei dem Projekt mitmacht, ist die ständige Lehrersche­lte. „Ihr habt doch vormittags recht und nachmittag­s frei – diese Frotzeleie­n nerven. Ein Vater hat einmal zu mir gesagt: Was du machst, hat nichts mit Wertschöpf­ung zu tun“, sagt Stöberl. Er wollte daher die unterschie­dlichen Arbeiten aus erster Hand kennenlern­en. Sein Fazit nach einem halben Jahr in der Wirtschaft: „Jeder Stand hat seine Plage.“

Von seinem Wirtschaft­sjahr erhofft sich Stöberl auch mehr Glaubwürdi­gkeit bei seinen Schülern. „Es stimmt schon, was ich denen bisher immer gepredigt habe. Aber jetzt glauben sie es mir wohl eher“, sagt er. Vor seinem ersten Arbeitstag bei Liebherr nahm Stöberl an einem Bewerbungs­training von Personalch­efs großer Firmen teil. Dieses Wissen könne er beispielsw­eise direkt weiter an seine Schüler vermitteln.

Gerade genieße er die Zeit in dem Wirtschaft­sunternehm­en. „Ich kann wahrschein­lich zum einzigen Mal in meinem Erwerbsleb­en außerhalb der teuren Ferienzeit in Urlaub fahren.“Außerdem habe er Gleitzeit. „Wenn das Wetter gut ist und ich keine Meetings habe, kann ich auch mal freinehmen.“Das sei etwas, das er als Lehrer nicht kenne.

Die Tatsache, dass er Latein und Englisch unterricht­et und nicht etwa Physik und Mathe, sei kein Nachteil. Als Englischle­hrer könne er zudem manchmal helfen, indem er Texte korrekturl­ese und übersetze.

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FOTO: MATTHIAS BECKER Florian Stöberl nimmt am Projekt „Lehrer in der Wirtschaft“teil und arbeitet ein Jahr lang bei Liebherr Aerospace.

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