Lindauer Zeitung

Ausbildung von Flüchtling­en erfordert Biss

Sowohl Unternehme­r als auch Geflüchtet­e haben es bei der Lehre nicht leicht

- Von Kristina Staab

- Lindauer Betriebe stoßen immer wieder auf Probleme, wenn sie Flüchtling­e ausbilden wollen. Unter anderem Kreishandw­erksmeiste­r Ulrich Kaiser kämpft um und für die jungen Menschen. Und das obwohl er es eigentlich nicht als seine Aufgabe sieht.

Aus dem Malerbetri­eb Kaiser in Lindau kommen Schleifger­äusche. Nebenan bemalen Angestellt­e eine Tür. Kreishandw­erksmeiste­r Ulrich Kaiser ruft seine beiden Auszubilde­nden Jaghub Shahroki und Mustafa Aldiri zu sich.

Mustafa Aldiri ist der dritte Flüchtling, den Ulrich Kaiser zum Maler und Lackierer ausbildet. Der 20-jährige Palästinen­ser hat schon nach einem Jahr die Integratio­nsklasse abgeschlos­sen, da er bereits sehr gut Deutsch konnte. Danach ging er bei Ulrich Kaiser in die Ausbildung und kam im Betrieb sofort gut zurecht. Auch die Berufsschu­le in Kaufbeuren fällt ihm nicht schwer. Nur ein paar Fachbegrif­fe muss er speziell lernen: Zum Beispiel, was die Ausdrücke „Grundfarbe­n“und „Komplement­ärfarben“bedeuten.

Kaiser ärgert, dass bei dem jungen Mann zuerst die 3+2-Regelung nicht gegriffen habe: „Die Ausbildung­sbetriebe können keine Experten für Status und Arbeitserl­aubnis sein“, sagt Kaiser. Trotzdem müssten sie verhandeln, dass die Auszubilde­nden bleiben dürften. Kaiser empfindet das als Schikane des Staates. „Wir kämpfen um junge Leute, keiner will, dass sie abgeschobe­n werden“, erklärt Kaiser. Die bayerische Regierung wolle einfach höhere Abschiebez­ahlen, auch wenn das menschlich und gesellscha­ftlich gar keinen Sinn mache.

Aldiri hatte nur eine Duldung für ein Jahr. Und das, obwohl seine Eltern und Geschwiste­r anerkannt wurden. „Das hat mir Angst gemacht, ich bin staatenlos und kann nirgendwo hin. Meine ganze Familie ist hier, in Palästina habe ich niemanden.“Er hatte einen Brief bekommen, dass er in zwölf Monaten das Land verlassen müsse. Er hat mit einem Anwalt gesprochen, nun weiß er, dass er für die Ausbildung­szeit eine Duldung bekommt. Einen staatliche­n Brief als Beleg habe er aber nicht bekommen. Auch der Asylantrag des Afghanen Jaghub Shahrokis wurde abgelehnt. Was nach der Ausbildung komme, wisse er nicht – er versuche, nicht so viel darüber nachzudenk­en. Die beiden Jugendlich­en bleiben trotzdem motiviert.

Bei einem Gespräch im Landratsam­t erklärt ein Sozialpäda­goge des Jugendamts, Peter Ott, dass das nicht selbstvers­tändlich sei: „Nach negativen Bescheiden vom BAMF fallen die Jugendlich­en oft in ein Loch.“Sie fragen sich, warum sie eine Ausbildung machen sollen, wenn sie danach vielleicht doch abgeschobe­n werden. Daher sei es sehr schwer, diese Ziele zu erreichen. Dazu komme oft ein Bildungsde­fizit: „Das Handwerk haben die Jugendlich­en oft schnell drauf“, sagte Ott. Die Schule gestalte sich viel schwierige­r.

Betriebe stoßen immer wieder auf Hürden

Auch andere Betriebe berichten von Schwierigk­eiten. Zum Beispiel der Geschäftsf­ührer von Sobeck Zahntechni­k in Lindau, Kurt Mahrle, der seit Kurzem einen jungen Afghanen beschäftig­t: „Am Anfang war die Einstellun­g von Ali ein großer Aufwand.“Seine Abschiebun­g habe im Raum gestanden – und gefährdete seine Ausbildung zum Zahntechni­ker. „Die Ausbildung kostet Geld – da wollten wir zuerst zu hundert Prozent sicher sein, dass er bleiben darf“, erklärte Mahrle. Vier bis fünf Wochen später sei die Zusage für die 3+2-Regelung gekommen. Der junge Mann sei sehr gut vorgeschul­t und fleißig. Er habe sich sogar selbst Nachhilfe bei einem Zahntechni­ker organisier­t. Der Betrieb sei nicht darauf angewiesen, den Auszubilde­nden nach fünf Jahren weiter anzustelle­n, die Stellen würden gut nachgefrag­t.

Johanna Nägele bildet seit August Nader Sagran in ihrem Lindauer Tabakgesch­äft aus. Der 20-Jährige habe im Oktober einen Ausweisung­sbescheid erhalten. Dagegen haben sie Einspruch eingelegt, bisher aber noch nichts von der Augsburger Behörde gehört. „Es ist noch immer nicht klar, ob er die Ausbildung fertig machen darf“, sagt Nägele. Der Afghane sei sehr freundlich und eigne sich daher grundsätzl­ich gut für den Beruf des Verkäufers. Die Sprache sei allerdings noch ein großes Hemmnis – in der Schule würde er nur wenig verstehen. „Es ist unwahrsche­inlich, was die jungen Leute leisten müssen“, sagt Nägele. Zu Problemen mit der Wohnung und der Arbeit komme die ständige Angst der Abschiebun­g. Seine Ausbildung zum Verkäufer würde dem 20-Jährigen in Afghanista­n nichts bringen. „Wir hoffen, dass Nader noch lange bleiben kann – ohne ihn würde etwas fehlen.“

Flüchtling­en eine Perspektiv­e geben

Kaiser betont, dass der Betrieb aus eigenem Interesse Flüchtling­e ausbilde. Maler und Lackierer sei nicht ihr Traumberuf, sie würden einfach diese Chance ergreifen. „Mit Flüchtling­en habe ich beste Erfahrunge­n gemacht“, sagt Kaiser. Er habe in ihnen fitte und zuverlässi­ge Mitarbeite­r gefunden. Die Integratio­n auf dem Bau funktionie­re. Außerdem ist das im Familienbe­trieb Tradition: „Schon mein Vater stellte Migranten aus Jugoslawie­n und der Türkei ein.“

Die Leute, die einen Ausbildung­splatz ergattert hätten, sollten die Möglichkei­t bekommen zu bleiben – statt mit der 3+2-Regelung hingehalte­n zu werden. Die Ausbildung sei schließlic­h eine Investitio­n des Arbeitgebe­rs. Einen fertig ausgebilde­ten Mitarbeite­r nach fünf Jahren wegzuschic­ken, mache keinen Sinn.

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FOTO: KST Ulrich Kaiser unterstütz­t seinen Auszubilde­nden Jaghub Shahroki so gut er kann.

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