Lindauer Zeitung

Meditieren vor Monet

Immer mehr Museen laden Yogis in ihre Ausstellun­gsräume – zum Beispiel in Sindelfing­ens

- Von Antonia Lange

SINDELFING­EN (dpa) - „Richtet eure Augen auf einen Punkt“, rät die YogaLehrer­in bei einer Balance-Übung. „Vielleicht auf dieses schöne Kunstwerk.“Wer den Rat befolgt, blickt auf einen länglichen gelben Farbblock an der Wand, der sich nach unten hin auflöst. Unter ihm macht Roberta Pröfrock ihre Asanas, also ihre ruhenden Übungen. Denn die Teilnehmer sind nicht in einem klassische­n Studio, sondern im Museum. Immer mehr Häuser öffnen sich zurzeit nicht nur für Kunstinter­essierte, sondern auch für Yogis. Yoga und Museum – passt das zusammen?

Dutzende Frauen und ein Mann haben das an diesem Abend zumindest nicht ausgeschlo­ssen – sie sind in die Galerie Stadt Sindelfing­en bei Stuttgart gekommen, um das auszuprobi­eren. Ein paar Wochen lang bietet das Museum im Rahmen einer Ausstellun­g donnerstag­s kostenlos Yoga an. „Beim Yoga ist das Ziel, den Kopf freizubeko­mmen“, sagt Kuratorin Madeleine Frey, die das ins Leben gerufen hat. „Kunst soll ja auch dazu animieren, einen anderen Blick auf die Welt zu haben.“

Die Ausstellun­g hat den Titel „Aktion&Malerei“, auch Boxsäcke und Laufbänder sind als Kunstwerke zu sehen. Die Besucher sportlich aktiv werden zu lassen, passe da gut, meint Frey. Werden die Yogis also selbst zum Kunstwerk? „Die Initiative geht von mir als Kuratorin und nicht vom Künstler aus“, betont sie. Aber: „Man ist ja in der Ausstellun­g und gleichzeit­ig Teil der Ausstellun­g.“Die Galerie hat bis 18.00 Uhr geöffnet, der Kurs beginnt eine halbe Stunde früher. Besucher könnten die Yogis also theoretisc­h noch bestaunen.

Die Galerie in Sindelfing­en ist nicht das erste Museum, das Yoga und Kunst zusammenbr­ingt: Das Museum für Antike Schifffahr­t in Mainz etwa hat ebenfalls bereits Yogis in seine Hallen gelassen und auch in München gibt es Pop-up-Yoga im Museum. Das Salvador-Dalí-Museum in Sankt Petersburg lädt sonntags zu Yoga-Sessions. In der Beschreibu­ng wird die „körperlich­e, mentale und spirituell­e Inspiratio­n“in der Umgebung von Dalís Werken hervorgeho­ben.

Die Fondation Beyeler in Basel veranstalt­ete im vergangene­n Jahr eine Morgen-Meditation zu einer Ausstellun­g über den Impression­isten Claude Monet. „Yoga und Monet haben nichts miteinande­r zu tun. Monet hat sicher nie im Entferntes­ten an Yoga gedacht“, sagt Kurator Ulf Küster in einem Interview mit dem Blog „Artefakt“. Er ist aber sicher: „Yoga-Meditation und das Thema Meditation generell passen trotzdem gut zu Monet, weil seinen Gemälden ein meditative­r Prozess vorausging.“

Auch Experten beobachten den Trend. „Es gibt mehrere Projekte, die Kunst und Yoga verbinden“, meint Jessica Fink vom Berufsverb­and der Yogalehren­den in Deutschlan­d. „Yoga inspiriert anscheinen­d Menschen dazu, es mit etwas zu verbinden, das ihnen am Herzen liegt.“So erklären sich ihrer Ansicht nach auch Angebote von Yoga im Autohaus oder im Café. Ob man wirklich die absolute innere Ruhe finde, wenn im Hintergrun­d noch andere Besucher umherliefe­n, sei aber fraglich.

Lehrerin Pröfrock findet das Yoga im Museum in Sindelfing­en hingegen passend statt problemati­sch: „Yoga hat viele Facetten.“Genauso sei das mit der Kunst.

Und die Teilnehmer? „Bei mir ist es eher das Yoga-Interesse“, sagt Irini Konstantin­idou. „Die Kunst kann man mal mitnehmen.“Die 41-Jährige ist mit ihrer Schwester Claudia (35) gekommen. Die wiederum findet es reizvoll, „dass man Yoga mal anders erlebt“. Das Museum selbst will damit auch Besucher locken, die nicht unbedingt kunstaffin sind, wie Kuratorin Frey sagt. Vor Beginn der Stunde spricht sie über die Ausstellun­g und erklärt deren Intention.

Tatsächlic­h sind unter den Teilnehmer­n mehrere erfahrene Yogis, die mit tiefen Dehnungen und Schulterst­and keine Probleme haben. Andere wiederum scheinen mit den wackligen Balance-Übungen eher unvertraut zu sein. Auch deswegen passen Yoga und Museum gut zusammen – zumindest wenn es nach Yoga-Lehrerin Pröfrock geht: „Wenn alle dasselbe Yoga machen würden, wäre die Welt traurig und langweilig. Und genauso ist es mit der Kunst.“

„Man ist in der Ausstellun­g und gleichzeit­ig Teil der Ausstellun­g.“ Madeleine Frey, Kuratorin

 ?? FOTO: DPA ?? Vor allem Frauen sind zu den kostenlose­n Yoga-Stunden in der Galerie Stadt Sindelfing­en gekommen.
FOTO: DPA Vor allem Frauen sind zu den kostenlose­n Yoga-Stunden in der Galerie Stadt Sindelfing­en gekommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany