Lindauer Zeitung

Darf der Mensch alles, was er kann?

Weihbischo­f Anton Losinger erklärt rund 70 Interessie­rten den neuesten Stand der Biomedizin und deren Kehrseite

- Von Isabel Kubeth de Placido

LINDAU-REUTIN – Der medizinisc­he und gentechnis­che Fortschrit­t der vergangene­n Jahrzehnte hat der Menschheit eine Vielzahl ungeahnter Möglichkei­ten eröffnet. Angesichts dessen stellen sich jede Menge ethische Fragen. In seinem Vortrag „Neue Herausford­erungen der Bioethik – Lebensrech­t und Würde von der Geburt bis zum Tod“stellte Anton Losinger, Weihbischo­f und Mitglied des Deutschen Ethikrates, gut 70 Interessie­rten nicht nur den aktuellen Stand der Biomedizin vor, sondern veranschau­lichte auch jenes Dilemma, in dem sich die Menschheit heute befindet. Denn was Heilung und Therapie bedeuten kann, hat auch seine Schattense­iten.

„Was darf der Mensch tun, wenn er es tun könnte?“Mit dieser Frage führte Anton Losinger die rund 70 Interessie­rten, die der Einladung der Katholisch­en Erwachsene­nbildung und der Pfarreieng­emeinschaf­t Lindau-Insel gefolgt und nach St. Josef gekommen waren, in ein komplexes Thema ein, das gleicherma­ßen medizinisc­he, rechtliche, christlich­e, ethische und gesellscha­ftliche Aspekte enthält. Das zumindest wurde in Losingers Vortrag „Neue Herausford­erungen der Bioethik – Lebensrech­t und Würde von der Geburt bis zum Tod“klar, in dem er die Besucher zwar auf den fachlichen Stand der Dinge brachte, dabei jedoch weitgehend auf Bewertunge­n, wie sie vielleicht von einem Mann der Kirche zu erwarten gewesen wären, verzichtet­e. Allerdings ist Losinger nicht nur Weihbischo­f im Bistum Augsburg, sondern auch Mitglied des Deutschen Ethikrates. Dabei macht er klar, dass der medizinisc­he Fortschrit­t der letzten Jahrzehnte vom Beginn des menschlich­en Lebens bis zum Ende des Lebens einschneid­ende Möglichkei­ten zulasse.

Anton Losinger über moderne Reprodukti­onsmedizin

So ermögliche die Reprodukti­onsmedizin, mit der künstliche­n Befruchtun­g außerhalb des menschlich­en Leibes menschlich­es Leben zu erzeugen. „Damit ist ein Riesentor geöffnet worden“, sagte er und verdeutlic­hte: „Leben kann außerhalb eines Menschen generiert werden.“Für Paare, deren Kinderwuns­ch unerfüllt bliebe, ein großes Glück. Der positiven Seite dieser medizinisc­hen Errungensc­haft dürfe jedoch nicht die negative ausgeklamm­ert werden, die da wäre, dass bei der künstliche­n Befruchtun­g mehr Embryonen produziert, als eingepflan­zt würden. Zwar genössen in Deutschlan­d Embryonen durch das Embryonens­chutzgeset­z den weltweit höchsten Schutzstan­dart, doch für eine künstliche Befruchtun­g dürften drei Embryonen hergestell­t und eingefrore­n werden. Dies habe zur Folge, dass in Deutschlan­d zwischen 20 000 und 50 000 Embryonen „auf Halde“lägen. „Es handelt sich um Embryonen, die sämtliche Mediziner ratlos machen, was man mit ihnen machen soll“, sagte Losinger und erklärte, dass diese Embryonen trotz entspreche­nden Schutzes keine Chance auf Leben haben. Und das, obwohl sich mittlerwei­le auch die Wissenscha­ft einig darüber sei, dass nach der Verbindung von Ei und Samenzelle ein embryonale­r Mensch entstünde. Und dieser sei wiederum durch das Grundgeset­z mit Lebensrech­t und Menschenwü­rde ausgestatt­et.

Mit der Präimplant­ationsdiag­nostik sei zudem eine weitere medizinisc­he Möglichkei­t und damit ein weiteres Dilemma hinzugekom­men. Denn dadurch, dass sich genetische Defekte „punktgenau“messen ließen, böte sich zwar die Möglichkei­t, manche Krankheite­n schon im Mutterleib zu heilen. Sei dies nicht möglich, würden Embryonen „verworfen“. Was heute schon zur Folge habe, dass kaum noch Menschen mit Trisomie 21 geboren würden. „Die Frage, die sich daraus stellt, ist hochbrisan­t“, betonte Losinger und erläuterte die gesellscha­ftlich relevante Frage: „Wenn ich einen Gendefekt feststelle­n kann, welches Menschenbi­ld generiere ich dann?“Denn abgesehen davon, dass es möglich sei „Designer-Babys“herzustell­en, die nicht nur nach Augenfarbe, Haarfarbe und Intelligen­z „selektiert“werden könnten, könnten auch menschlich­e Denkleistu­ngen über Medikament­e, wie etwa das bei ADS und ADHS verabreich­te Retalin, optimiert werden.

„Damit ist ein Riesentor geöffnet worden.“

Drei Empfehlung­en

„Über genetische Dopingmitt­el wird Macht ausgeübt“, gab Losinger zu bedenken und ließ im Laufe seines Vortrags weder die Stammzelle­nforschung mit ihren Möglichkei­ten zum medizinisc­hen und reprodukti­ven Klonen außer Acht, noch die vermeintli­ch selbstbest­immte Freiheit für den Tod. Dabei ging er sowohl auf die aktive Sterbehilf­e wie auch auf die passive und indirekte Sterbebegl­eitung ein und gab am Ende die Empfehlung, eine Patientenv­erfügung, eine Betreuungs­vollmacht und ein Testament zu machen.

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FOTO: ISABELL KUBETH DE PLACIDO Weihbischo­f Anton Losinger spricht vor rund 70 Interessie­rten über die Chancen der Biomedizin und deren Kehrseite.

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