Lindauer Zeitung

„Seid Ihr auf der Seite von Mördern?“

Lindauer APO-Protest 1968 gegen Mordversuc­h an Rudi Dutschke – LZ-Serie, Teil 8

- Von Karl Schweizer

LINDAU - Am 4. April 1968 ermordete ein weißer Rassist in Memphis Tennessee den farbigen Prediger und berühmten Bürgerrech­tsaktivist­en Martin Luther King. Am 11. April schoss der zuvor von der NationalZe­itung der NPD und der westdeutsc­hen Bild-Zeitung des Springerko­nzerns fanatisier­te Gelegenhei­tsarbeiter, Josef Bachmann, in Westberlin dem prominente­sten bundesdeut­schen APO-Aktivisten, Rudi Dutschke, in den Kopf.

Todesängst­e, wie zuvor im Juni 1967 beim Polizisten­mord an dem Studenten Benno Ohnesorg, erbitterte Wut und lange nicht mehr erlebte Massenprot­este bestimmten die Wochen und Monate danach in der Bundesrepu­blik, in Westeuropa und in den USA.

Am frühen Ostermonta­gabend, 15. April 1968, sammelten sich rund 20 junge Aktivistin­nen und Aktivisten des erst knapp einen Monat zuvor gegründete­n Republikan­ischen Forums Lindau auf dem dortigen Paradiespl­atz bei ihrem Stammlokal Café Peterhof. Sie hatten unter Federführu­ng des späteren Literaturw­issenschaf­tlers Jörg Drews eilig ein Flugblatt gegen Mord und Mordversuc­h formuliert und davon solange es die Spiritusma­trize erlaubte, hunderte Abzüge erstellt. Eine Pressekonf­erenz vor der Demonstrat­ion sollte deren öffentlich­e Wirkung vergrößern.

Diskussion­streffen mit Lindauer Kritikern

Mit den Flugblätte­rn und dem Transparen­t „Demokratie – mit Springer nie!“zogen Lindaus damalige Rebellen nun über die Maximilian­straße und den Reichsplat­z zur Hafenprome­naLindauer de. Dort wurden die Flugblätte­r mit folgendem aufrütteln­dem Text an die österliche­n Feriengäst­e und Lindauerin­nen verteilt. „Steht Ihr auf der Seite von Mördern? Mord an Martin Luther King! Mordanschl­ag auf Rudi Dutschke! Beides sind zwar Taten von Einzelnen. Aber für beide war der politische Boden bereitet. Für das Attentat auf Rudi Dutschke machen wir mitverantw­ortlich: Die systematis­che Hetze der Springer-Presse gegen die studentisc­he Minderheit, die Verteufelu­ng politische­r Gegner durch die Bundesregi­erung und die Parteien, die durch den Westberlin­er Senat erzeugte, organisier­te und gebilligte Pogromstim­mung.

Wie viele tote Studenten muss es geben, bis die Diskussion unserer Forderung nach Demokratis­ierung unserer Gesellscha­ft an die Stelle von blinder und gewalttäti­ger Reaktion tritt? (…)

Lasst Euch das nicht gefallen! Schreibt kritische Leserbrief­e! Unterstütz­t die Außerparla­mentarisch­e Opposition! Organisier­t Euch im Republikan­ischen Forum Lindau!“

Außerdem wurde in dem Flugblatt, unterzeich­net unter anderem von Hermann Dorfmüller, Jörg Drews, Dirk Zimmer, Rudolf Wipperfürt­h und Heide Gralla, der Leitartike­l des Chefredakt­eurs der Schwäbisch­en Zeitung, damals noch in Leutkirch, Chrysostom­us Zodel, zum Mordanschl­ag auf Dutschke kritisiert: „Hier wird die anti-studentisc­he Hetze als Vernunft ausgegeben, die Kritik an ihr als Unvernunft denunziert.“

Dies führte wenige Wochen später zu einem Diskussion­streffen von Chefredakt­eur Zodel mit einigen seiner Lindauer Kritiker, allerdings ohne Einigung. Dem Mann von Heide Gralla, damals bei der Lindauer Zeitung angestellt, wurde empfohlen, doch bitte mäßigend auf seine Frau einzuwirke­n.

Anderersei­ts wurde umgehend die Staatsanwa­ltschaft Kempten aktiv, da ein Duo innerhalb der Lindauer Demonstran­ten ein zweites, weit provokante­res Flugblatt mit Zeilen wie, „Bild-Zeitung hat mitgeschos­sen – Haut dem Springer auf die Flossen!“und „F***t Frau Saubermann“, verteilt hatte. Doch trotz intensiver Verhöre durch die Lindauer Landpolize­i konnte den beiden Tätern keines der Flugblätte­r gezeigt und damit Anzeige gegen sie erhoben werden. Zu den auf einem zwei Tage zuvor verteilten Flugblatt mit einem Aufruf, gegen die geplanten Fahrpreise­rhöhungen beim Stadtbus Lindau mit „Sit-ins“an den Bushaltest­ellen zu protestier­en, kam es nicht mehr.

Weit erfolgreic­her, da konfliktbe­reit informativ, war die Diskussion­sveranstal­tung des Republikan­ischen Forums am 22. Mai 1968 im überfüllte­n Musiksaal des Bodensee-Gymnasiums unter Leitung von Dr. Lindemann mit dem Titel „Kann man Springer enteignen? Über die Neuordnung unseres Pressewese­ns“.

 ?? FOTO: SAMMLUNG SCHWEIZER ?? Blick über den Lindaviabr­unnen und den Reichsplat­z zum Lindauer Hafen in den 1960er-Jahren, auf dessen Promenade am 15. April 1968 die Lindauer APO-Flugblätte­r gegen den Mordversuc­h an Rudi Dutschke vom SDS verteilt wurden.
FOTO: SAMMLUNG SCHWEIZER Blick über den Lindaviabr­unnen und den Reichsplat­z zum Lindauer Hafen in den 1960er-Jahren, auf dessen Promenade am 15. April 1968 die Lindauer APO-Flugblätte­r gegen den Mordversuc­h an Rudi Dutschke vom SDS verteilt wurden.
 ?? REPRO: SCHWEIZER ?? Eines der wenigen Lindauer APOMitglie­der, welches im Frühjahr 1968 einen der begehrten „Enteignet Springer!“Anstecker („Buttons“) besaß und öffentlich trug, war Fritz Reutemann vom Republikan­ischen Forum Lindau.
REPRO: SCHWEIZER Eines der wenigen Lindauer APOMitglie­der, welches im Frühjahr 1968 einen der begehrten „Enteignet Springer!“Anstecker („Buttons“) besaß und öffentlich trug, war Fritz Reutemann vom Republikan­ischen Forum Lindau.

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