Schwammspinner bedrohen Bayerns Eichenwälder
Um einen Kahlfraß zu vermeiden, soll Gift gesprüht werden – Naturschützer sind skeptisch
WERNECK (lby) - Eine kaum sichtbare Kraft bedroht Bayerns Eichenwälder. In einer Region in Nordbayern ist die Gefahr am höchsten. Dort warten Hunderte von Schwammspinner-Raupen pro Baum auf ihren Fresseinsatz. Gegen sie soll nun Gift gesprüht werden. Naturschützer sind sehr skeptisch.
Ralf Petercord läuft langsam um den Stamm einer etwa 120 Jahre alten Eiche. Der 49-Jährige sucht Gelege des Schwammspinners. In den meist eiförmigen, hellbraunen, platten Waben liegen jeweils durchschnittlich etwa 400 Eier des Schmetterlings. „Hier ist eins. Hier auch. Und da ist noch eins“, sagt der Waldexperte von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) nach einem kurzen prüfenden Blick.
Der Schwammspinner ist derzeit der größte Feind vieler Eichen in Bayern. Besonders bedroht sind Bestände in Unterfranken. Petercord findet an beinahe jedem abgesuchten Baum in dem lichten Wald bei Werneck (Landkreis Schweinfurt) mindestens ein Gelege. „Hier sind ordentliche Dichten drin. Der Wald wird auf jeden Fall kahl gefressen werden“, sagt Petercord.
Das Problem am Schwammspinner (Lymantria dispar) ist, dass er so lange frisst, dass nicht nur die ersten Blätter der Eiche abgefressen werden, sondern auch die Regenerationstriebe. Dadurch werden Eichen stark geschwächt, denn sie brauchen die Blätter zur Photosynthese und damit zur Lebenserhaltung und Stärkung. Gehen sie geschwächt in den Sommer, sind sie anfällig für weitere Krankheiten und Schädlinge. „Das kann zum chronischen Eichensterben führen“, so Petercord.
Zuletzt konnte der Schwammspinner, dessen bis zu 70 Millimeter langen Raupen mehrere Monate lang die Blätter der Bäume abfressen, in dieser Masse 2011 in Bayerns Wäldern sein Unwesen treiben. Um einen Kahlfraß in den Wäldern zu vermeiden, setzt Petercord als Leiter der Abteilung für Waldschutz bei der LWF auf den frühzeitigen Einsatz von sogenannten Fraßgiften. „Denn durch ihn werden sie so geschwächt, dass sie absterben können.“
Der Besitzer eines großen Privatwaldes in Schwaben kann ein Lied davon singen. Dort haben in den vergangenen Jahren gleich mehrere blattfressende Arten die Eichen befallen – der Schwammspinner und der Eichenprozessionsspinner. Die Waldgebiete wurden nicht behandelt. Viele der Bäume sterben mittlerweile ab. „Wenn hier nichts gemacht wird, werden wir diese Wälder verlieren. Das ist wirklich dramatisch“, sagt ein Revierleiter.
In Bayern gibt es etwa 165 300 Hektar Eichenwald. Fast die Hälfte davon liegt nach LWF-Angaben in Unterfranken. Die Insektengifte werden in Unterfranken mit einem Hubschrauber Anfang Mai in dicken Tropfen auf die Baumkronen aufgebracht. „Allerdings nicht flächendeckend“, wie Petercord betont. Rund 1400 Hektar Wald sollen heuer so behandelt werden – verteilt auf 60 Teilflächen. „Es sind nur kleine Waldinseln, die behandelt werden.“Insgesamt hat Bayern 2,6 Millionen Hektar Wald. „Damit werden weniger als 0,1 Prozent des bayerischen Waldes behandelt“, so der Forstexperte.
Der Natur ihren Lauf lassen
Naturschützer sehen den Einsatz der Pflanzenschutzmittel mit Skepsis: „Es ist zu kurz gegriffen, wenn man jedes Mal zur Giftspritze greift, wenn Insekten auftreten. Vor allem, wenn nicht ausreichend dokumentiert wird, was das bringt“, sagt Ralf Straußberger vom Bund Naturschutz (BN) in Bayern. Er plädiert dafür, der Natur ihren Lauf zu lassen. Dann werde es zwar einzelne Ausfälle geben, aber es werde kein ganzer Wald absterben. Das Gift aber töte alle blattfressenden Insekten, die an der Eiche fressen. „Das ist ein massiver Eingriff, der in den Wäldern stattfindet, und der auf keiner wissenschaftlichen Basis durchgeführt wird.“
Petercord sieht die Interessen des Naturschutzes gerade durch den abgewogenen und sehr ausgewählten Einsatz des Insektengiftes gewahrt. Naturschutzgebiete seien heuer bei der Bekämpfung des Schwammspinners außen vor. „Wir sind ja nicht verrückt. Wir werden keine bekannten Vorkommen von seltenen Schmetterlingen besprühen. Aber wir wollen ein flächendeckendes Eichensterben verhindern“, sagte der Forstexperte.