Lindauer Zeitung

Kauder entsetzt über antisemiti­schen Übergriff

Unions-Fraktionsc­hef fordert Meldepflic­ht für Vorfälle an Schulen und die Abschaffun­g des Musikpreis­es Echo

- Von Sabine Lennartz und dpa

BERLIN - Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder (CDU) hat entsetzt auf den antisemiti­schen Übergriff in Berlin reagiert. „Die Entwicklun­g in unserem Land beunruhigt mich zutiefst. Die Reihe der jüngsten schändlich­en antisemiti­schen Vorfälle wird immer länger. Wir müssen das mit allen rechtsstaa­tlichen Mitteln versuchen zu stoppen“, sagte er gestern der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Täter müssen hier die ganze Härte des Rechts spüren. Mir ist gleich, ob es sich um einen eingewande­rten Antisemiti­smus handelt oder um einen, der hier entstanden ist.“

Beim Vorfall im Berliner Viertel Prenzlauer Berg war am Dienstag ein Israeli (21) von einem arabisch sprechende­n Mann beschimpft und mit einem Gürtel geschlagen worden. Am Mittwoch erklärte der Angegriffe­ne, er sei in Israel in einer arabischen Familie aufgewachs­en und kein Jude. Die Kippa habe er als Experiment getragen.

Auch die Musikindus­trie kritisiert­e der CDU-Politiker. Die Rapper Kollegah und Farid Bang hatten den Musikpreis Echo für ein Album erhalten, auf dem antisemiti­sche Texte zu finden sind. „Schon die EchoPreisv­erleihung an diese Rapper war eine unfassbare Fehlentsch­eidung, die jede historisch­e Sensibilit­ät vermissen ließ. Angesichts des wachsenden Antisemiti­smus hätte der Preis nie an Künstler gehen dürfen, die mit dem Holocaust in ihren Texten spielen“, so Kauder. „Es ist gut, dass andere Künstler ihre Echo-Preise als Zeichen des Protests jetzt zurückgebe­n. Die Gesellscha­ft darf nicht zulassen, dass antisemiti­sche Aussagen fast schon normal werden. Man sollte diesen Preis abschaffen.“

Kauder fordert auch eine Meldepflic­ht für antisemiti­sche Vorfälle an Schulen. „Denn wer ein antisemiti­sches Klima hinnimmt (...), muss sich auch nicht wundern, wenn jüdische Schüler gemobbt werden. Der Staat muss alles tun, dass diese Entwicklun­g so nicht weitergeht.“

BERLIN (dpa) - Politiker sagen gerne, No-go-Zonen gebe es nicht. Viele Juden gehen trotzdem lieber nicht mit Davidstern oder Kippa in Berlin durch bestimmte Stadtteile. Zu groß ist das Risiko. Das zeigte jetzt ein Vorfall – bei dem das Opfer nach eigener Aussage aber gar kein Jude war.

Der junge Mann in der braunen Jacke hält einen Gürtel in seiner Hand, er holt aus und schlägt dreimal zu. Auf Arabisch ruft er: „Tu das Handy weg. Du bist ein jüdischer Bastard“, dann: „Jahudi“(arabisch für Jude). Der angegriffe­ne Mann lässt das Smartphone weiterlauf­en und sagt: „Ich filme dich, ich filme dich.“Es kommt zum Handgemeng­e, bis der Angreifer von einem Begleiter weggeschob­en wird. Nach 47 Sekunden endet das Video über den antisemiti­schen Angriff. Gefilmt wurde es am Dienstag in Berlin-Prenzlauer Berg, wie die Polizei bestätigte. Der angegriffe­ne Mann ist ein 21-jähriger Israeli. Zusammen mit einem 24-jährigen deutschen Freund war er unterwegs, beide trugen eine Kippa, die traditione­lle jüdische Kopfbedeck­ung.

Dem israelisch­en Fernsehen sagte der 21-Jährige, drei Männer hätten sie beschimpft. Der Freund habe ihnen gesagt, sie sollten aufhören. „Dann wurden sie sauer, einer von ihnen rannte auf mich zu.“Der „Bild“-Zeitung sagte der Israeli, er habe die Kippa geschenkt bekommen, verbunden mit einer Warnung vor dem öffentlich­en Tragen. Er habe erwidert: „So was passiert in Deutschlan­d nicht, nicht mal in Berlin. Und dann waren keine fünf Minuten vergangen, als wir rausgingen mit der Kippa und wir wurden attackiert.“

„Kippa als Experiment getragen“

Er sei in Israel in einer arabischen Familie aufgewachs­en und kein Jude, sagte der Angegriffe­ne der Deutschen Welle. Die Kippa habe er als Experiment getragen. Das Filmen des Angriffs begründete er so: „Ich wollte einen Beweis für die Polizei haben und dass die Deutschen sehen, ja im Grunde, dass die Welt sieht, wie schrecklic­h es ist, in diesen Tagen als Jude durch Berlins Straßen zu laufen.“Nach dem ersten Angriff mit dem Gürtel habe sich die Gruppe der drei aggressive­n Männer entfernt, sei jedoch von dem 21-Jährigen verfolgt worden. Daraufhin habe der Schläger versucht, den Verfolger mit einer Flasche zu attackiere­n. Eine couragiert­e Zeugin ging dazwischen. Der 21-Jährige wurde leicht verletzt. Die Polizei sucht nach dem Täter.

Der Angriff fällt in eine Zeit, in der sich Berichte über antisemiti­sche Vorfälle häufen. In Berlin wurde eben erst der Fall einer Schülerin bekannt, die von muslimisch­en Mitschüler­n wegen ihrer jüdischen Religion beschimpft wurde. Im Dezember wurde ein jüdischer Restaurant­besitzer von einem Deutschen antisemiti­sch beleidigt. Arabische Demonstran­ten verbrannte­n bei einer Kundgebung israelisch­e Flaggen. Die Berliner Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus zählte im vergangene­n Jahr 18 Angriffe und 23 konkrete Bedrohunge­n.

Am Mittwoch trafen sich die deutschen Kultusmini­ster mit dem Zentralrat der Juden zu Beratungen über Übergriffe in Schulen. Zentralrat­s-Präsident Josef Schuster sprach von einem „Bedrohungs­potenzial“vor allem in Städten. Außenminis­ter Heiko Maas und Justizmini­sterin Katarina Barley (beide SPD) verurteilt­en die neue Tat als „unerträgli­ch“. Maas sagte der Funke Mediengrup­pe: „Juden dürfen sich bei uns nie wieder bedroht fühlen.“Barley meinte: „Das ist eine Schande für unser Land.“

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FOTO: DPA An der Ecke Lychener Straße/Raumerstra­ße in Berlin kam es zu dem Vorfall.

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