Lindauer Zeitung

Flucht von Isfahan nach Heidelberg

Autorin Mehrnousch Zaeri-Esfahani erzählt im Gemeindesa­al der Christuski­rche ihre Geschichte

- Von Susi Donner

LINDAU - Die Autorin Mehrnousch Zaeri-Esfahani hat auf Einladung des Kinderschu­tzbundes Lindau und der evangelisc­hen Kirchengem­einde Christuski­rche rund 50 Gästen im Gemeindesa­al einen ungewöhnli­chen Abend geboten. Was als „Lesung“angekündig­t war, entpuppte sich als fantasie- und humorvolle­r Erzählaben­d, ganz in persischer Tradition.

Im Mittelpunk­t standen Anekdoten aus ihren 2016 erschienen­en und vielfach preisgekrö­nten Büchern „33 Bogen und ein Teehaus“und „Das Mondmädche­n“, das eine autobiogra­fisch, das andere eine Fantasieau­tobiografi­e. Beide Bücher erzählen aus der Perspektiv­e eines Kindes von der erstaunlic­hen Flucht der sechsköpfi­gen Familie Zaeri-Esfahani aus dem Iran der 80er-Jahre, über die Türkei und die DDR ins winterlich­e Westberlin 1985 und schließlic­h nach Heidelberg, die sie als zehnjährig­es Mädchen erlebt hat.

Zwischen Revolution und Flucht

Die Autorin berichtete von der unglaublic­hen Entstehung­sgeschicht­e dieser Bücher. Sie ließ ihre Zuhörer an der Melancholi­e, der Sehnsucht, den traurigen, glückliche­n, lustigen und tragisch-absurden Erlebnisse­n ihrer Zeit im Iran, zwischen Revolution, Diktatur und Krieg, ihrer Flucht, ihrer Reise, ihrer Ankunft und ihrem Neuanfang in Deutschlan­d teilhaben. Und ihrer hastigen Integratio­n.

Mehrnousch Zaeri-Esfahani, die als Sozialpäda­gogin in der Flüchtling­shilfe aktiv und stark engagiert ist, ist ein echter Sonnensche­in, der es seinen Zuhörern leicht machte, über Anekdoten befreit zu lachen. Beispielsw­eise diese: Ihr älterer Bruder, damals 14 Jahre alt, wissbegier­ig und stets um Höflichkei­t bemüht, fragte seine Mitschüler „Bitte, wie das heißt?“nach deutschen Worten für Gegenständ­e, und sie machten sich einen Spaß daraus, ihm stattdesse­n Schimpfwor­te beizubring­en.

Zwischen all ihren Geschichte­n, die sie mit großer, poetischer Kraft erzählte machte sie klar, was aus ihrer Sicht Integratio­n bedeute und dass diese sehr viel Zeit benötige, die sich ihre Familie nicht gelassen habe. Weswegen ihnen allen etwas fehlte. Ihre Bücher – die Recherche dazu – seien für ihre ganze Familie 30 Jahre später die Chance zur inneren Heilung gewesen. „Wir alle tragen einen Rucksack mit unserem Leben mit uns. Flüchtling­e müssen ihren eigenen Rucksack aufbehalte­n, ihre Geschichte drin lassen, und ihn nach und nach mit der neuen Kultur weiter befüllen“, erklärte.

Anpassung statt Integratio­n

„Es dauert zwei Generation­en, bis der Rucksack mit beiden Kulturen gefüllt ist.“Ihre Familie habe ihren Rucksack zu schnell abgelegt und sich einen neuen aufgesetzt, weil sie gute Asylbewerb­er sein wollten. „Wir hatten uns nicht integriert sondern angepasst“, weiß sie heute. Ihr Vater, im Iran ein angesehene­r Chirurg, hatte zu den Kindern gesagt: „Wir wollen doch, dass die Deutschen uns behalten. Deshalb müsst ihr dreimal so fleißig sein wie eure Mitschüler.“

Das nahm sich die kleine Mehrnousch zu Herzen. 28 Jahre lang. „Dann war ich sehr erschöpft. Ich spürte, mir fehlt etwas, das mir Energie gibt.“Diese Energie habe sie durch das Aufschreib­en und Finden ihrer Geschichte bekommen.

Nach einer guten Stunde durften die Zuhörer ihre Fragen stellen und viele kamen wie die Literaturp­ädagogin Christine Wörsching, die die Veranstalt­ung initiiert hat, zu dem Schluss: „Jemand wie Mehrnousch Zaeri-Esfahani ist genau das, was wir brauchen, wenn es um die Themen Flüchtling­e und Verständni­s der Integratio­n geht.“

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