Der Körper wird zur Religion
Dr. Ada Borkenhagen spricht bei den Psychotherapiewochen über Schönheitsmedizin
LINDAU (dik) - Viele Menschen fühlen sich nicht mehr zu Hause im eigenen Körper. Sie rennen dem unerreichbaren Ziel der Alterslosigkeit nach. Wie es dazu kommt und welche Folgen das hat, darüber hat Dr. Ada Borkenhagen in ihrem Vortrag bei den Psychotherapiewochen gesprochen.
Die zweite Tagungswoche steht unter dem Motto „Heimat“. Mit der Frage, ob der eigene Körper den Menschen heute noch eine Heimat bietet, befasst sich eine Vorlesungsreihe in der Inselhalle. Borkenhagen, die an der Uniklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg forscht und arbeitet, vergleicht die moderne Frau mit dem antiken Narziss, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte und starb, als er sich als hässlich empfand.
„Woran Narziss so kläglich scheiterte, das scheint der Frau von heute zu gelingen“, sagte Borkenhagen und verwies auf Schönheitsmedizin, die jeder Frau mit genug Geld ein altersloses Gesicht verschaffen kann. Vorbild sei die Schauspielerin Lindsay Lohan, die sich mit 24 Jahren das Gesicht einer 30-Jährigen operieren ließ, um in der Folge alterslos zu erscheinen.
Der Erfolg der Schönheitsmedizin ist unaufhaltsam, gefördert durch das Internet, wo sich jeder in VorherNachher-Simulationen anschauen kann, wie nach ein paar Spritzen die Falten im eigenen Gesicht verschwinden. Einen Klick weiter könne man sofort einen Termin mit dem Schönheitsmediziner vereinbaren. Ähnlich passe „Heidi-Klums-Modellschule“als „Vorher-NachherShow“perfekt in „unser narzistisches Zeitalter“.
Die Hälfte der deutschen Frauen hätte gern eine Botox-Behandlung
Auch wenn die Betroffenen meist behaupten, dass sie sich „nur mit Gurkenscheibe und Wassertrinken“jung gehalten haben und den Einsatz der Botox-Spritze verneinen, so steigen die Verkaufszahlen. 33 Millionen Botoxspritzen werden weltweit pro Jahr verkauft. Im Jahr 2014 hat sich allein in Deutschland eine halbe Million Menschen Botox spritzen lassen. Bei Umfragen sagt die Hälfte der deutschen Frauen, sie würden sich gerne mit Botox behandeln lassen, viele können es sich aber nicht leisten.
Damit schlägt das Leistungsdenken durch, es gelte das Motto: „Wer nicht jung aussieht und nicht schön ist, der ist selbst schuld.“Der Körperkult sei allgegenwärtig, habe für viele Menschen inzwischen den Status einer Religion erreicht. Vor allem Frauen litten unter dem Zwang, immer jung aussehen zu müssen. Der Anteil der Frauen in der Schönheitsmedizin liege immer noch bei knapp neun Zehnteln.
Dabei zeigte Borkenhagen, dass diese Gedankenwelt nicht neu ist. Schon in der Antike und im Mittelalter gibt es Legenden vom Jungbrunnen. Und Bilder zeigen, dass schon damals ausschließlich Frauen alt in den Jungbrunnen gestiegen sind, um jung wieder herauszukommen und mit ihren alten Männern heimzugehen. Für Borkenhagen ist dies ein fest verwurzelter Teil westlichen Denkens: Als Gebärende haben schon mythische Kulturen die Frau auch als die gesehen, die den Tod gebirt. So waren Todesgöttinnen stets weiblich. Umgekehrt wurde der junge weibliche Körper zum Fetisch, mit dessen Hilfe der Mann der eigenen Todesdrohung entgehen wollte.
„Die Frau muss dem Idealbild des alterslosen Körpers entsprechen“, das zeige schon die Rede vom „schönen Geschlecht“. Der alte Mann selbst braucht deshalb keinen Jungbrunnen, ihm reicht die junge schöne Frau an seiner Seite.
Doch letztlich muss all das vergeblich bleiben. Niemand kann das Altern abwenden, niemand kann dem Tod entgehen. Das verstärkt die Nöte der Betroffenen, deren Kampf gegen das Alter von Anfang an verloren ist: „Der eigenen Körper wird dann zum Feind, weil er sich nicht wirklich dem Alter entziehen lässt.“