Lindauer Zeitung

Grüne und CDU in der Krise

Für Kinder berufstäti­ger Eltern gibt es in Bayern längst nicht genug Betreuungs­plätze

- Von Christian Böhm und Ruth van Doornik

STUTTGART (tja) - Die Stimmung zwischen den Stuttgarte­r Regierungs­partnern Grüne und CDU wird zunehmend schlechter. Jüngster Anlass war am Mittwoch die Wahl der Landtags-Vizepräsid­entin. Das Amt sollte im Einvernehm­en beider Parteien an die CDU gehen. Doch deren Kandidatin Sabine Kurtz fiel im ersten Wahlgang durch. Erst im zweiten setzte sie sich gegen den AfD-Gegenkandi­daten Heiner Merz durch. Zuvor hatte Grünen-Parteichef Oliver Hildenbran­d seiner Fraktion geraten, Kurtz nicht zu wählen. Grund waren deren Äußerungen über Homosexual­ität. Die CDU sprach später von einem „schlimmen Foul“des Koalitions­partners.

MÜNCHEN – Krippen wurden ausgebaut, aber wenn die Kinder in die Grundschul­e kommen, haben berufstäti­ge Eltern oft das Nachsehen. In Bayern gibt es nur für die Hälfte der Schüler eine Nachmittag­sbetreuung.

Betroffen davon sind Menschen wie Hannah Schwarz. Sie ist am Ende, sagt sie : „Ich fühle mich minderwert­ig, ich bin frustriert und langsam auch resigniert.“Hannah Schwarz ist dreifache Mutter, hat Wirtschaft studiert, in verantwort­lichen Positionen gearbeitet und will seit zwei Jahren zurück ins Berufslebe­n. Doch aus einem Grund ist das nicht möglich: Die Münchnerin bekommt einfach keinen Hortplatz für ihren achtjährig­en Sohn Lukas.

Jedes Jahr bewirbt sie sich neu, jedes Jahr kommt wieder eine Absage. „Selbst an Teilzeit ist so nicht zu denken“, sagt die 40-Jährige. Denn während die älteste Tochter nach der Schule schon gut alleine zurechtkom­mt und der Kleinste bis 16 Uhr im Kindergart­en ist, steht Lukas schon um kurz nach eins wieder vor der Tür. „Ich verliere völlig den berufliche­n Anschluss“, schildert Hannah Schwarz ihre Situation.

So wie ihr geht es vielen berufstäti­gen Eltern in Bayern, gerade in Großstädte­n. Jetzt hat sogar die Staatsregi­erung den Notstand bestätigt: Nur für jedes zweite Kind im Grundschul­alter gibt es derzeit Plätze in Ganztagssc­hulen, Horten oder einer Mittagsbet­reuung, lautet die Antwort auf eine SPD-Anfrage.

Nach der Kita wird es schwierig

Gewiss, nicht alle Eltern wollen eine Ganztagsbe­treuung für ihr Kind, aber viele bräuchten sie und gehen doch leer aus. Während die Kleinsten in der Kita noch bis 17 Uhr betreut wurden, stellt der Grundschul­Übertritt Zehntausen­de Familien ohne Betreuungs­platz vor enorme Probleme. Wer passt aufs Kind auf, wer kocht, wer hilft bei den Hausaufgab­en? Im Zweifel natürlich die Eltern.

Doch zu welchem Preis? Teilzeit? Auszeit? Wie soll das funktionie­ren angesichts steigender Wohnkosten in Ballungsrä­umen, wenn ein Elternteil nichts oder nur wenig zum Familienei­nkommen beitragen kann? In seiner ersten Regierungs­erklärung nach der Wiederwahl 2013 hatte Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) diesen Notstand identifizi­ert und eine Ganztagsga­rantie für Schüler bis 14 Jahre versproche­n – ein zulösen bis zum Jahr 2018.

„Wir stellen fest, dass sich in den vergangene­n Jahren das Betreuungs­angebot zwar verbessert hat, doch bei Weitem nicht mit der Nachfrage Schritt hält“, sagt Elfriede Kerschl, Referatsle­iterin bei der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) für München und Oberbayern.

Das hat Auswirkung­en auf das große Ganze. „Fakt ist, dass aufgrund der schlechten Betreuungs­situation gerade von Grundschül­ern dem Arbeitsmar­kt Fachkräfte entzogen werden“, erklärt Kerschl. Selbst wenn das Kind eine Ganztagesk­lasse besuchen kann, ist damit noch nicht automatisc­h alles gut. „Gerade die Ferienbetr­euung ist ein großes Problem“, so Kerschl. Wer hier nicht auf Großeltern, Freunde oder Nachbarn zurückgrei­fen kann, muss sich etwas einfallen lassen.

Viele Unternehme­n wissen um diese Sorgen und Nöte. Die IHK etwa versucht, ihre Mitglieder zu motivieren, flexible Arbeitszei­tmodelle anzubieten, selbst kleinere Mittelstän­dler haben mittlerwei­le eigene Betreuungs­angebote. Für Elfriede Kerschl ist klar: „Wir fordern den Rechtsansp­ruch auf einen Ganztagsbe­treuungspl­atz für Schüler bis 12 Jahre.“

Es gibt keinen Rechtsansp­ruch

Erst im Februar lehnte das Verwaltung­sgericht Ansbach einen „Antrag im einstweili­gen Rechtsschu­tz von Eltern für ihr Kind auf Zuweisung eines Hortplatze­s“für das Schuljahr 2017/18 ab. Es gibt also noch keinen Rechtsansp­ruch. Das treibt Eltern von Vorschulki­ndern den Schweiß auf die Stirn, wenn sie an die Grundschul­e denken.

Vielerorts in Bayern startet demnächst die Bewerbungs­phase für Horte und Krippen. Von 430 000 Grundschül­ern im Freistaat wurden nach Angaben des Kultus- und Sozialmini­steriums zum Stichtag 31. Dezember 2016 knapp 89 000 in Kindertage­seinrichtu­ngen betreut – das ist ein Anteil von rund 20 Prozent.

Aus dem Kultusmini­sterium heißt es, dass Bayern die Ganztagspl­ätze „flächendec­kend massiv ausgebaut“habe. Thomas Rauschenba­ch, Vorstandsv­orsitzende­r und Direktor des Deutschen Jugendinst­ituts in München, bestätigt, dass der politische Wille da sei. Er gibt aber auch zu bedenken, dass in Bayern 40 Prozent der Eltern gar keine Nachmittag­sbetreuung wollten, vor allem in ländlich geprägten Regionen. Dort arbeiten Mütter traditione­ll eher halbtags und auch die Großeltern stehen eher zur Verfügung. In Großstädte­n wie München oder Nürnberg sei die Situation natürlich eine vollkommen andere. „Hier gibt es erkennbare Unzufriede­nheit.“

Hannah Schwarz hilft diese Einschätzu­ng nicht weiter. Sie will jetzt eine eigene Nachmittag­sbetreuung in München aufbauen – mithilfe einer Elterninit­iative. Die entspreche­nden Anträge hat sie bereits im Mai gestellt. Doch auf eine Rückmeldun­g von der Landeshaup­tstadt wartet sie bis heute.

 ?? FOTO: DPA ?? Ein Platz in der Nachmittag­sbetreuung für Grundschül­er ist in Bayern längst nicht selbstvers­tändlich.
FOTO: DPA Ein Platz in der Nachmittag­sbetreuung für Grundschül­er ist in Bayern längst nicht selbstvers­tändlich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany