Grüne und CDU in der Krise
Für Kinder berufstätiger Eltern gibt es in Bayern längst nicht genug Betreuungsplätze
STUTTGART (tja) - Die Stimmung zwischen den Stuttgarter Regierungspartnern Grüne und CDU wird zunehmend schlechter. Jüngster Anlass war am Mittwoch die Wahl der Landtags-Vizepräsidentin. Das Amt sollte im Einvernehmen beider Parteien an die CDU gehen. Doch deren Kandidatin Sabine Kurtz fiel im ersten Wahlgang durch. Erst im zweiten setzte sie sich gegen den AfD-Gegenkandidaten Heiner Merz durch. Zuvor hatte Grünen-Parteichef Oliver Hildenbrand seiner Fraktion geraten, Kurtz nicht zu wählen. Grund waren deren Äußerungen über Homosexualität. Die CDU sprach später von einem „schlimmen Foul“des Koalitionspartners.
MÜNCHEN – Krippen wurden ausgebaut, aber wenn die Kinder in die Grundschule kommen, haben berufstätige Eltern oft das Nachsehen. In Bayern gibt es nur für die Hälfte der Schüler eine Nachmittagsbetreuung.
Betroffen davon sind Menschen wie Hannah Schwarz. Sie ist am Ende, sagt sie : „Ich fühle mich minderwertig, ich bin frustriert und langsam auch resigniert.“Hannah Schwarz ist dreifache Mutter, hat Wirtschaft studiert, in verantwortlichen Positionen gearbeitet und will seit zwei Jahren zurück ins Berufsleben. Doch aus einem Grund ist das nicht möglich: Die Münchnerin bekommt einfach keinen Hortplatz für ihren achtjährigen Sohn Lukas.
Jedes Jahr bewirbt sie sich neu, jedes Jahr kommt wieder eine Absage. „Selbst an Teilzeit ist so nicht zu denken“, sagt die 40-Jährige. Denn während die älteste Tochter nach der Schule schon gut alleine zurechtkommt und der Kleinste bis 16 Uhr im Kindergarten ist, steht Lukas schon um kurz nach eins wieder vor der Tür. „Ich verliere völlig den beruflichen Anschluss“, schildert Hannah Schwarz ihre Situation.
So wie ihr geht es vielen berufstätigen Eltern in Bayern, gerade in Großstädten. Jetzt hat sogar die Staatsregierung den Notstand bestätigt: Nur für jedes zweite Kind im Grundschulalter gibt es derzeit Plätze in Ganztagsschulen, Horten oder einer Mittagsbetreuung, lautet die Antwort auf eine SPD-Anfrage.
Nach der Kita wird es schwierig
Gewiss, nicht alle Eltern wollen eine Ganztagsbetreuung für ihr Kind, aber viele bräuchten sie und gehen doch leer aus. Während die Kleinsten in der Kita noch bis 17 Uhr betreut wurden, stellt der GrundschulÜbertritt Zehntausende Familien ohne Betreuungsplatz vor enorme Probleme. Wer passt aufs Kind auf, wer kocht, wer hilft bei den Hausaufgaben? Im Zweifel natürlich die Eltern.
Doch zu welchem Preis? Teilzeit? Auszeit? Wie soll das funktionieren angesichts steigender Wohnkosten in Ballungsräumen, wenn ein Elternteil nichts oder nur wenig zum Familieneinkommen beitragen kann? In seiner ersten Regierungserklärung nach der Wiederwahl 2013 hatte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) diesen Notstand identifiziert und eine Ganztagsgarantie für Schüler bis 14 Jahre versprochen – ein zulösen bis zum Jahr 2018.
„Wir stellen fest, dass sich in den vergangenen Jahren das Betreuungsangebot zwar verbessert hat, doch bei Weitem nicht mit der Nachfrage Schritt hält“, sagt Elfriede Kerschl, Referatsleiterin bei der Industrieund Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern.
Das hat Auswirkungen auf das große Ganze. „Fakt ist, dass aufgrund der schlechten Betreuungssituation gerade von Grundschülern dem Arbeitsmarkt Fachkräfte entzogen werden“, erklärt Kerschl. Selbst wenn das Kind eine Ganztagesklasse besuchen kann, ist damit noch nicht automatisch alles gut. „Gerade die Ferienbetreuung ist ein großes Problem“, so Kerschl. Wer hier nicht auf Großeltern, Freunde oder Nachbarn zurückgreifen kann, muss sich etwas einfallen lassen.
Viele Unternehmen wissen um diese Sorgen und Nöte. Die IHK etwa versucht, ihre Mitglieder zu motivieren, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten, selbst kleinere Mittelständler haben mittlerweile eigene Betreuungsangebote. Für Elfriede Kerschl ist klar: „Wir fordern den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz für Schüler bis 12 Jahre.“
Es gibt keinen Rechtsanspruch
Erst im Februar lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach einen „Antrag im einstweiligen Rechtsschutz von Eltern für ihr Kind auf Zuweisung eines Hortplatzes“für das Schuljahr 2017/18 ab. Es gibt also noch keinen Rechtsanspruch. Das treibt Eltern von Vorschulkindern den Schweiß auf die Stirn, wenn sie an die Grundschule denken.
Vielerorts in Bayern startet demnächst die Bewerbungsphase für Horte und Krippen. Von 430 000 Grundschülern im Freistaat wurden nach Angaben des Kultus- und Sozialministeriums zum Stichtag 31. Dezember 2016 knapp 89 000 in Kindertageseinrichtungen betreut – das ist ein Anteil von rund 20 Prozent.
Aus dem Kultusministerium heißt es, dass Bayern die Ganztagsplätze „flächendeckend massiv ausgebaut“habe. Thomas Rauschenbach, Vorstandsvorsitzender und Direktor des Deutschen Jugendinstituts in München, bestätigt, dass der politische Wille da sei. Er gibt aber auch zu bedenken, dass in Bayern 40 Prozent der Eltern gar keine Nachmittagsbetreuung wollten, vor allem in ländlich geprägten Regionen. Dort arbeiten Mütter traditionell eher halbtags und auch die Großeltern stehen eher zur Verfügung. In Großstädten wie München oder Nürnberg sei die Situation natürlich eine vollkommen andere. „Hier gibt es erkennbare Unzufriedenheit.“
Hannah Schwarz hilft diese Einschätzung nicht weiter. Sie will jetzt eine eigene Nachmittagsbetreuung in München aufbauen – mithilfe einer Elterninitiative. Die entsprechenden Anträge hat sie bereits im Mai gestellt. Doch auf eine Rückmeldung von der Landeshauptstadt wartet sie bis heute.