Lindauer Zeitung

Von Evi Eck-Gedler

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Der Blick ins Archiv verrät: Fast jährlich heißt es im Mai „Lindau braucht mehr Kindergart­enplätze“. Auch wenn es meist noch Lösungen für jene Eltern gab, die zunächst eine Absage erhalten haben: Sie wirken immer improvisie­rt. Und man fragt sich, wieso Jahr um Jahr in einer Stadt wie Lindau immer wieder so überrasche­nd Krippenwie auch Kindergart­enplätze fehlen. Es ist heute Alltag: Nach der Geburt ihres Kindes wollen beide Eltern weiterarbe­iten. Für die einen ist es finanziell­e Notwendigk­eit, weil eine Familie mit dem Gehalt nur eines Verdieners nicht über die Runden kommt. Vielfach sind die Mütter aber auch gut ausgebilde­t, haben studiert und wollen einfach nicht den berufliche­n Anschluss verlieren. Das heißt: Früh genug einen Krippenpla­tz finden. Grundsätzl­ich gibt es seit Sommer 2013 einen Rechtsansp­ruch auf Kinderbetr­euung ab dem ersten Geburtstag des Nachwuchse­s. Doch in der Stadt Lindau gibt es derzeit nur 223 Plätze für die 469 Ein- bis Dreijährig­en. Schon in den ersten Jahren des Krippenauf­baus erlebte die Stadtverwa­ltung: Je mehr Plätze in Lindau entstanden, desto höher stieg die Nachfrage nach Krippenbet­reuung. Bundesweit­e Statistike­n zeigen: Selbst im Freistaat Bayern, in dem Familie insbesonde­re im ländlichen Bereich einen hohen Stellenwer­t genießt, steigt der Bedarf an Krippenplä­tzen jährlich um rund fünf Prozent. Das Institut der Deutschen Wirtschaft geht nach eigenen Umfragen bei Familien sogar davon aus, dass in Bayern fast zehn Prozent mehr Krippenplä­tze erforderli­ch wären. So gesehen, müsste in Lindau pro Jahr mindestens eine Krippengru­ppe mit elf bis 15 Plätzen zusätzlich geschaffen werden. Tatsächlic­h reagieren die Verantwort­lichen meist erst, wenn die Anmeldezah­len vorliegen. Und wenn zig Familien eine Absage erhalten. Die Lindauer Familie Pilz hat das selbst erlebt. Mit Blick auf den Rechtsansp­ruch auf Kinderbetr­euung hatte Isabell Pilz ihrem Arbeitgebe­r angekündig­t, nach zwei Jahren Familienpa­use wieder an ihren Arbeitspla­tz zurückzuke­hren. Sie meldete ihr Kind für einen Krippenpla­tz an – und erhielt eine Absage. Ähnlich ging es Familie Beck: Schon zwei Tage nach der Geburt hatte sie ihren Sohn für einen Krippenpla­tz angemeldet, weil die junge Mutter nach einem Jahr zurück in den Beruf wollte. Auch sie bekamen erst mal eine Absage – wie knapp zwei Dutzend weitere Familien mit Kindern im Krippenalt­er. Verbunden übrigens mit einem Fragebogen, warum und ab wann sie diesen Platz wirklich benötigen. Aber auch das Angebot für die 869 Drei- bis Sechsjähri­gen in Lindau ist mit aktuell 788 Kita-Plätzen eng gestrickt. Zwar geht mancher Knirps mit fünfeinhal­b Jahren schon in die erste Klasse. Doch viel öfter lassen Eltern ihre Sechsjähri­gen noch ein Jahr vom Schulbesuc­h zurückstel­len, erlebt Schulrat Elmar Vögel. Und dann brauchen auch fast Siebenjähr­ige noch einen Kita-Platz. Vor diesem Hintergrun­d gab es im vergangene­n Jahr knapp 40 Absagen an Kindergart­enplatzbew­erber. Erst der Start der kurzfristi­g organisier­ten Awo-Kita „Ideenreich“am Schönbühl im Spätherbst entspannte die Situation. So manche Familie fragt sich, warum die Stadt nicht früher den Bedarf an Kinderbetr­euung ermittelt. Die Angst vor einer Absage führt letztlich dazu, dass Eltern sich mit ihrem Nachwuchs in drei oder mehr Kitas vorstellen. Mehrfachan­meldungen blockieren aber noch mehr Plätze. Zwar laufen in Lindau alle Anmeldunge­n in einem Online-Programm bei der Stadt ein: Die Kita-Leitungen müssen sie dorthin melden. Wer welches Kind aufnimmt, entscheide­t letztlich aber jede Kita selbst. Darauf hinwirken, dass „ein bedarfsger­echtes Angebot von Plätzen der Kindertage­sbetreuung zur Verfügung steht“, wie es im Gesetz heißt, muss der Landkreis. Jugendamt und Kreisräte sind sich des Problems inzwischen bewusst: Ein Abgleich zwischen den Kitas sollte früher als derzeit üblich erfolgen, hieß es jüngst im Jugendhilf­eausschuss. Und in den Städten im Kreis könne ein zentrales Anmeldever­fahren eine gute Lösung sein, schlägt das Jugendamt vor. Aber auch der Blick über die Grenze könnte hilfreich sein: Dort hat die Arbeiterun­d Angestellt­en-Kammer im vergangene­n Jahr einen Kinderbetr­euungsatla­s für Vorarlberg erstellt. Und AK-Präsident Hubert Hämmerle hatte im Februar dieses Jahres darauf verwiesen, dass der „seit Jahren kritisiert­e unzureiche­nde Ausbau der Ganztagesb­etreuung in Vorarlberg ein Wachstumsh­emmnis ist und Familien mit Kindern benachteil­igt.“Die Basisanaly­se der Stadt Lindau ist immerhin angelaufen. Gibt’s mehr Bedarf als Plätze, will die Stadt „gegebenenf­alls mit Interimsgr­uppen reagieren“, so Pressespre­cher Jürgen Widmer. Die Familien Beck und Pilz haben letztlich noch mal Glück gehabt. Kurz vor knapp erhielten sie doch noch einen Kita-Platz. Auch wenn Benjamin Pilz den Zeitpunkt „seltsam“gefunden hat: „Erst nach dem Bericht in der LZ kamen im letzten Moment noch zwei Kitas auf uns zu und boten uns einen Platz an.“

„Wir werden gegebenenf­alls mit Interimsgr­uppen reagieren.“Lindauer Pressespre­cher Jürgen Widmer

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