Lindauer Zeitung

Das falsche Bild vom eigenen Körper

Professor Stephan Zipfel über die Magersucht-Therapie

-

„gefährlich­sten“psychische­n Erkrankung­en. Sieben bis zehn Prozent der Kranken sterben an den direkten Folgen der Magersucht, zum Beispiel an Organschäd­en. Aber auch Suizide kämen immer wieder vor. Mangelund Fehlernähr­ung, Erbrechen und andere radikale Methoden führen zudem zu schweren Langzeitsc­häden.

„Es gibt kein Medikament für die Behandlung der Magersucht“

Von Anorexia nervosa spreche man, wenn Frauen (mehr als 90 Prozent der Erkrankten sind Frauen) sich weigern, das Minimum des für Alter und Körpergröß­e normalen Körpergewi­chtes zu halten, ausgeprägt­e Ängste vor einer Gewichtszu­nahme und eine Störung in der Wahrnehmun­g der eigenen Figur und des Körpergewi­chts haben. Definition­sgemäß beginnt die Anorexia nervosa bei einem Bodymassin­dex (BMI) von unter 17,5. Der Experten unterschei­den zwei Typen der Magersucht: den restriktiv­en, der sich sehr viel mit kalorienar­men Nahrungsmi­tteln beschäftig­t, aber kaum etwas isst und den „Purging“(Reinigung)Typ, der sich unter anderem durch Erbrechen und wassertrei­bende Medikament­e nach Fressanfäl­len Erleichter­ung verschafft.

„Es gibt kein Medikament für die Behandlung der Magersucht“, betonte Prof. Zipfel, hier sei die Psychother­apie am Zug, um Patienten aus der Spirale aus Hungern, Erbrechen, exzessivem Sport und Abführmitt­eln zu befreien. Die Normalisie­rung des Essverhalt­ens, die Behandlung der dahinterli­egenden Probleme, die Einbeziehu­ng der Familie bei Minderjähr­igen, aber auch die Behandlung der Körperbild­störung müssten im Fokus der Therapie stehen.

Doch wie kommt es überhaupt zu einem negativen Körperbild? Hier spielten soziokultu­relle Faktoren wie Schönheits­ideale, aber auch ganz individuel­le Faktoren eine große Rolle. Fakt ist: Die meisten Anorektike­r haben große Schwierigk­eiten, ihren Körper realistisc­h einzuschät­zen. Prof. Stephan Zipfel

Sie beurteilen in Experiment­en alle Körperteil­e negativer als Gesunde, so Prof. Zipfel.

Wie können Therapeute­n ihren Patienten helfen? Während früher ausschließ­lich verhaltens­therapeuti­sche Ansätze als erfolgreic­h bei der Magersucht-Behandlung gesehen wurden, habe seine große Studie zur psychother­apeutische­n Behandlung von Magersücht­igen gezeigt, dass die Fokale Psychodyna­mische Psychother­apie (FPT) erfolgvers­prechend ist. Das ist eine Weiterführ­ung der Psychoanal­yse, die nach den tieferlieg­enden Ursachen der Essstörung forscht.

„Die gezielte Arbeit an der Körperbild­störung ist wichtig“, betonte Zipfel. Es gehe darum zu schauen, wie der Kranke seinen Körper sieht und spürt, wie er ihn überprüft und was er über ihn denkt. Den Therapeute­n stehen dazu körperther­apeutische Interventi­onen wie Entspannun­g und Imaginatio­n, aber auch konfrontat­ivere Methoden zur Verfügung. Als Beispiel hierfür nannte er die Spiegelexp­osition, bei der die Magersücht­igen mit ihrem eigenen Spiegelbil­d konfrontie­rt werden – mit dem gesamten Körper oder auch nur mit einem Arm oder einem Bein. Eine weitere Übung sei, dass sie mit einem Seil auf dem Boden ihre Silhouette nachlegen müssen. Wenn sie sich dann selbst in den Umriss legen, merken sich, dass sie sich meistens deutlich breiter einschätze­n, als sie in Wirklichke­it sind.

 ?? FOTO: ROI ??
FOTO: ROI

Newspapers in German

Newspapers from Germany