Alter Teer macht die neue Straße teuer
Grünenbach: Lkw karren 3000 Tonnen belastetes Material mehr als 800 Kilometer weit
GRÜNENBACH - Über 3000 Tonnen belastetes Material haben jeweils 64 Sattelzüge an zwei Tagen aus Grünenbach abtransportiert. Erst ging die Fahrt in ein Zwischenlager nach Heilbronn, dann zur Aufbereitung nach Rotterdam: mehr als 800 Kilometer. Eigentlich ist der Ausbau der Staatsstraße 1318 bei Grünenbach für Bürgermeister Markus Eugler, die Gemeinde und alle Beteiligten ein Meilenstein. Doch diese Zahlen stimmen manchen nachdenklich. Dem Kreislaufwirtschaftsgesetz zufolge dürfen Bauabfälle und Bodenaushub nicht mehr ohne weiteres wieder verbaut werden. Ziel ist, die Belastungen von Boden und Grundwasser zu verringern. „Aber der Bund hätte hier weiter denken sollen“, kritisiert Eugler.
Bis in die 70er Jahre hinein war Teer gängiges Baumaterial für Straßen, sagt Markus Kreitmeier, Leiter der Abteilung Straßenbau am Staatlichen Bauamt Kempten. Er entsteht bei der Verkokung von Kohle. Das Problem: „Teer enthält Kohlenwasserstoffe, die extrem gesundheitsgefährdend sind“, erklärt Kreitmeier. Die Stoffe können bei Kontakt mit Wasser auch ins Grundwasser gelangen, insbesondere bei der Verarbeitung des Teers. Weil das Risiko für Umwelt und Gesundheit sehr groß ist, wurde Teer beim Straßen- und Wegebau in den 80er Jahren verboten und durch Bitumen ersetzt. Kreitmeier: „Man spricht zwar landläufig immer noch von teeren, richtig ist aber asphaltieren.“Asphalt, also der Stoff, aus dem die Straßen bestehen, ist ein Baustoffgemisch aus Gesteinskörnungen und dem Bindemittel Bitumen.
Entsorgung ist ein Problem
Früher wurden beim Straßenbau abgetragene Schichten alter Straßen oft wiederverwendet: Klein geschredderte Stücke ergänzten das Baustoffgemisch, aus dem die neue Straße entstehen sollte. Der Bund hat laut Kreitmeier aber festgelegt, dass kein teerhaltiges Material mehr verwendet werden darf. Das Problem ist die Entsorgung.
Freilich habe niemand Interesse daran, dass belastetes Material weiter im Boden steckt, sagt Werner Schmid, der beim Staatlichen Bauamt zuständig ist für die Bundes- und Staatsstraßen im Landkreis Lindau. „Was weg ist, ist weg“, schiebt er nach und meint damit, dass Altlasten sonst irgendwann wieder Schwierigkeiten machen könnten. „In 50 Jahren fragen sich dann unsere Nachkommen: Was haben die damals gemacht?“, ergänzt Kreitmeier. Doch die Zahlen lassen aufhorchen, stimmen die Straßenbauexperten zu.
Allein rund eine Million kostet der Abtransport des belasteten Materials zur Aufbereitung: ein Drittel der Baukosten für das Straßenstück mit etwas mehr als 1,3 Kilometern Länge. „Und hier in Grünenbach sind wir noch gut dran“, sagt Josef Nußbaumer, Oberbauleiter der Firma Strabag, die den Ausbau ausführt. Die Arbeiter haben hier genügend Platz, um Material kurz zu lagern, bis die Lkw es abholen. In Lindenberg beispielsweise sei das ein Riesen-Thema, weil Platz auf Baustellen knapp sei.
Doch auch der Abtransport und die Entsorgung belasten die Umwelt. Bürgermeister Markus Eugler ist überzeugt: „Wir müssen mehr auf Recycling gehen.“In Rotterdam wird das belastete Material von einer Firma am Hafen aufbereitet, erklärt Kreitmeier. Das sei die einzige Firma, die er kenne, die teerhaltiges Material aufbereitet. Am Ende des Prozesses bleiben Sand und Kies als Rohstoff übrig. Das werde in den Niederlanden zum Hausbau genutzt. „Und bei uns wird Kies immer knapper. Irgendwann karren wir ihn auch von weiß Gott woher“, sagt Eugler.
Eberhard Rotter, verkehrspolitischer Sprecher im Landtag, gibt ihm da Recht: „Oft betrachtet man nicht das Ganze.“Auch er kenne die Problematik, die nicht nur den Straßenbau betreffe, sondern beispielsweise auch jeden Privatmann, der ein Haus baut: „Das verteuert jeden Bau ganz enorm.“Rotter habe das schon an den neuen Umweltminister herangetragen – eine Aufgabe, die man angehen müsse.
Die Bürgermeister im Landkreis Lindau haben bereits einstimmig eine Resolution verabschiedet. Sie kritisieren darin die Situation rund um den Umgang mit Bauabfällen und Bauaushub als „ökologisch fragwürdig“und den bürokratischen Aufwand fürs Entsorgen als „nicht mehr akzeptabel“.