Bayerische Conchita Wurst führt durch Wiener Museum
Anfängliche Skepsis des Hauses gegenüber dem Konzept des Deutschen sind inzwischen verflogen
WIEN (lby) - Als sie durch die prunkvolle Kuppelhalle des Kunsthistorischen Museums (KHM) in Wien stöckelt, richten sich alle Blicke auf sie. Die blonden Haare aufgetürmt, ein blaues Kleid mit schwarzem Samtkragen, angeklebte Wimpern, dazu der perfekt gepflegte Dreitagebart. Eine ältere Frau greift nach dem Arm ihres Partners, als die Dragqueen vorbeistolziert. Begeistert folgen ihr Besucher durch das kaiserlich-repräsentative Gebäude.
„Wenn man was für seine Community erreichen will, muss man sich trauen“, sagt Benjamin, der Mann unter der Perücke. Seit 2016 arbeitet der 27-Jährige aus dem Landkreis Fürth in dem auf Tradition bedachten Museum, das die Sammlung des Habsburger Reichs ausstellt. Führungen im Frauengewand zu machen, war seine eigene Idee. „Ich fand immer, dass das Museum hauptsächlich heterosexuelle Menschen anspricht“, sagt er. Schon während seines Kunstgeschichtsstudiums in Erlangen hat er sich mit queeren Themen beschäftigt, also mit allem, was sich von der Norm abhebt. Dazu gehört sowohl die Geschlechterwahrnehmung, als auch die sexuelle Orientierung.
Pudelwohl bei Marmor und Gold
Als Benjamin, der seinen Nachnamen nicht gerne öffentlich preisgibt, vor zweieinhalb Jahren nach Wien gezogen ist, schlüpfte er immer öfter für private Veranstaltungen in die Rolle einer Frau. Unter dem Namen „Die Tiefe Kümmernis“entstand eine sogenannte Dragqueen – die sich nun auch im Marmor, Gold und Prunk des Museums wohlfühlt. Mit strahlenden Augen beschreibt sie ihren Zuhörern den griechischen Mythos der Männerliebe zwischen dem unfassbar schönen Hirtenknaben Ganymed und Chef-Gott Zeus. Auch der italienische Barock-Maler Michelangelo Merisi da Caravaggio, der im 16. und 17. Jahrhundert bisexuell gelebt hat, sei einer ihrer Lieblingskünstler, sagt „Die Tiefe Kümmernis“.
Aufmerksamkeit auf Kunst lenken
„Wir wollen die Kunstgeschichte ein Stückchen weiterschreiben, indem wir die alten Gemälde mit neuen in Verbindung setzen“, erklärt sie und präsentiert moderne Werke, die zwischen der alten Sammlung hervorstechen: eine Fotostrecke der USamerikanischen PerformanceKünstlerin Eleanor Antin zum Beispiel. Diese hat ihren nackten Körper täglich fotografiert, während sie ihn durch eine strenge Diät der bildhauerischen Form einer antiken Statue angenähert hat. Zum Vergleich verweist „Die Tiefe Kümmernis“auf eine ebensolche Figur aus der Sammlung des KHM, die direkt daneben ausgestellt ist.
Dragqueens wie „Die Tiefe Kümmernis“oder die Gewinnerin des Eurovision Song Contests von 2014, Conchita Wurst, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Letztlich lautet Benjamins Auftrag aber schlicht: Kunst zu vermitteln. Den Zugang zur Kunst ebnen die Museen inzwischen auf unterschiedlichste Weise. Veranstaltungen wie Lunch, Yoga und Partys in den Häusern sind laut dem Deutschen Museumsbund inzwischen recht üblich. „Das Museum soll ein Freizeitort sein. Dadurch steht es natürlich in Konkurrenz zu anderen Angeboten“, sagt Sprecherin Simone Mergen. Bildung und Freizeit sollen verknüpft und möglichst viele Menschen angesprochen werden.
Das KHM gehört zu den zehn bedeutendsten Museen der Welt. Es ist vor allem bekannt für seine Gemälde der Alten Meister wie Albrecht Dürer, Tizian, Peter Paul Rubens und Pieter Bruegel d. Älteren. Pro Jahr besuchen es Hunderttausende Menschen. Anfängliche Sorgen des Hauses um kritische Rückmeldungen zu den Drag-Führungen sind verflogen.
Rund ein Dutzend Touren hat Benjamin, der auch einige Jahre in Nürnberg gewohnt hat, vorbereitet. Auf dem Programm stehen unter anderem Informationen zu historischen Geschlechterrollen sowie Männer- und Frauenmode. „Ich finde es schön, queere Künstler von einem Menschen erklärt zu bekommen, der selbst in der Szene ist“, sagt ein Einheimischer, der schon zum zweiten Mal an einer Führung „Der Tiefen Kümmernis“teilnimmt. „Es ist einfach interessant“, meint eine andere Besucherin. „Wir haben die Ausstellung schon gesehen. Jetzt wollen wir einen neuen Blickwinkel kennenlernen“, ergänzt ihr Begleiter.