Unzufrieden in der Elternzeit
Mütter und Väter zwischen Baby, Beziehung, Beruf und eigenen Bedürfnissen
Das Gedankenkarussell drehte sich. Die Verantwortung für die Kinder, das Gefühl, den ganzen Tag was zu machen, ohne was zu schaffen und Grübeleien zum beruflichen Wiedereinstieg. Dazu Schlafmangel und fehlende Anerkennung. Die 34-jährige Helene Mohr (Name geändert) verbrachte mit ihren beiden Kindern fünf Jahre zu Hause. Vorher hatte sie in der Sporttherapie gearbeitet, aber ohne festen Vertrag. Darum konnte sie nicht zurück. „Ich bin ein vielseitig interessierter Mensch, fühlte mich aber zugleich so orientierungslos“, sagt sie. Für Zukunftsplanungen fehlten ihr die Energie und die Muße.
Sie suchte Hilfe von außen, meldete sich bei einem Coaching-Seminar des Start-ups Elterngarten an, das Müttern und Vätern bundesweit Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung anbietet. Oder wie es die für den Südwesten zuständige Coach Saskia Deller aus Bruchsal formuliert: „Viele Elternteile stellen sich irgendwann die Frage ‚Was möchte ich eigentlich noch – mit Baby?‘“. Im Trott zwischen Windeln, Waschmaschinen und Wischen hätten viele aber weder Zeit noch Nerven für konkrete Schritte.
Aktive Seminare mit Kindern
Gründerin Tanja Misiak aus München war selbst in Elternzeit, als sie „elterngarten“2015 startete. Das Konzept: In fünf Coachings entwickeln Elternzeitler private und berufliche Ideen und beginnen sie auszubauen. Und wie sollte es anders sein – natürlich mit Kind. „Wir haben aktive Seminare“, sagt Deller. Die Kinder krabbeln zwischen den Teilnehmern hin und her, es wird gewickelt, gestillt und gekuschelt. Das Angebot richtet sich an Mütter und Väter. Aber Saskia Deller erzählt, dass sich bei ihr bislang nur Frauen angemeldet haben.
Die Psychologin und Betriebswirtin hat bei ihren eigenen drei Kindern vom schnellen Wiedereinstieg bis zu drei Jahren Elternzeit, von der Tätigkeit als Führungskraft bis zur Selbstständigkeit alles ausprobiert. „Es ist wichtig, die für sich und die eigene Familie passende Lösung zu finden“, sagt Deller. Das sei auch nicht für jeden die Rückkehr in den alten Beruf, manche wollten sich nur wieder auf sich selbst besinnen.
Im Falle der 35-jährigen Seminarteilnehmerin Claudia Nürnberger (Name geändert) mit ihren vierjährigen Zwillingen und einem Säugling war es so, dass sie sich in der Zwickmühle fühlte: Sie hatte ihren Beruf als Lehrerin gemocht, er fehlte ihr. Zugleich haderte sie mit dem System Schule und wollte viel Zeit mit ihren Kindern verbringen.
Cornelia Spachtholz vom Verband berufstätiger Mütter rät, das Thema Vereinbarkeit von Baby, Beziehung, Beruf und eigenen Bedürfnissen frühzeitig anzugehen: „Viele stolpern in die Elternzeit.“Sie legten zwar einen zeitlichen Rahmen fest, machten aber keine Pläne, wie sie die Elternzeit und das Leben danach gestalten wollten.
„In erster Linie hängt das zwar von den Bedürfnissen des Kindes ab“, erklärt Spachtholz. Trotzdem sei es sinnvoll, schon frühzeitig „best und worst case“-Szenarien zu Beziehung, Job und den Hobbys durchzuspielen und auch mit dem Partner sowie den Vorgesetzten zu besprechen. „Die Elternzeit kann eine großartige Chance sein“, sagt Spachtholz. Man müsse sich nur trauen.
Impulse zur Veränderung
Claudia Nürnberger und Helene Mohr haben mit Deller und drei weiteren Teilnehmerinnen im vergangenen Herbst analysiert, welche Tätigkeiten ihren Alltag füllen und welche Rollen sie dabei einnehmen. Sie drehten visionäre Kurzfilme über ihren „Traumberuf “und überlegten, welche Schritte sie gehen müssten, um näher an ihre Vorstellungen heranzukommen. „Wir geben in dem Seminar Veränderungsimpulse“, erklärt Deller. Nach dem Workshop müssen die Ideen dann den „Reality Check“durchlaufen.
Heute, ein halbes Jahr später, überlegt Claudia Nürnberger, ob sie in Zukunft weiterhin im schulischen Bereich arbeiten will – allerdings als Autorin. Dann könne sie auch von zu Hause aus tätig sein. Im Gegensatz zu früher spricht sie viel mit ihrem Mann über ihre berufliche Entwicklung. „Mir wurde klar, dass er ein großer Teil meines Prozesses ist.“
Helene Mohr wird im April eine Ausbildung als Tanzpädagogin beginnen. Ihr habe vor allem das Feedback von Deller und den anderen Teilnehmern bei der Frage „Was möchte und was kann ich“' geholfen. „Ich bin jetzt raus aus dem Karussell meiner eigenen Gedanken“, sagt sie.