Literaturnobelpreis fällt dieses Jahr aus
Akademie reagiert auf Missbrauchsvorwürfe – Walser glaubt an Zukunft der Auszeichnung
STOCKHOLM (dpa) - Erstmals seit fast 70 Jahren wird im Herbst kein Literaturnobelpreis verliehen. Die Schwedische Akademie, die seit 1901 den Träger auswählt, verschob die Vergabe wegen ihrer schweren internen Krise auf 2019. Dann sollten gleich zwei Preisträger verkündet werden, teilte das Jury-Gremium am Freitag mit. „Wir halten es für nötig, Zeit zu investieren, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Akademie wieder herzustellen, bevor der nächste Preisträger verkündet werden kann“, erklärte der Interimsvorsitzende Anders Olsson.
Grund ist ein Skandal um Missbrauchsvorwürfe und Korruption. 18 Frauen hatten dem Mann von Akademiemitglied Katarina Frostenson sexuelle Belästigung vorgeworfen. Nach Medienberichten soll er auch Kronprinzessin Victoria an den Po gefasst haben. Acht von 18 Jurymitgliedern legten daraufhin ihre Arbeit nieder, weil sie nicht damit einverstanden waren, wie glimpflich das Paar davonkommen sollte.
Viele Literaten reagierten mit Verständnis auf die Verschiebung, glauben aber an eine Zukunft des Preises. „Da muss einfach mal ausgemistet werden, einmal mit dem Besen durch, dann machen wir weiter“, sagte Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auch Schriftsteller Martin Walser gab sich optimistisch: „Die Akademie wird sich umorganisieren, und dann wird alles weitergehen wie bisher.“
STOCKHOLM (dpa) - Der Literaturnobelpreis wurde seit 1901 an 114 Preisträger vergeben – nicht immer skandalfrei:
Aussetzer: Siebenmal gab es keinen Nobelpreis für Literatur: 1914, 1918, 1935 und von 1940 bis 1943. Der Grund: die beiden Weltkriege.
Verspätungen: Die Statuten der Nobelstiftung lassen zu, den Preis auf das nächste Jahr zu verschieben, dann also zwei Nobelpreise zu vergeben, „wenn keine der in Betracht gezogenen Arbeiten die im ersten Absatz angegebene Bedeutung aufweist“. Siebenmal wurde die Verleihung verschoben. So bekam der Ire George Bernard Shaw seinen Preis für 1925 erst im Jahr 1926.
Verweigerung I: Zwei Preisträger haben die Auszeichnung in der Geschichte des Literaturnobelpreises nicht angenommen. Der erste 1958 allerdings nicht freiwillig: Der sowjetische Autor Boris Pasternak („Doktor Schiwago“) musste den Preis auf Druck seiner Regierung zurückweisen. Rund 29 Jahre nach seinem Tod nahm sein Sohn 1989 den Preis stellvertretend entgegen.
Verweigerung II: Der Franzose Jean-Paul Sartre lehnte den Literaturnobelpreis 1964 als bisher einziger freiwillig ab und erklärte stolz: „Jeder Preis macht abhängig.“Das hinderte ihn nicht daran, elf Jahre später beim Nobelkomitee diskret nachzufragen, ob man ihm nachträglich die Dotierung von damals 273 000 schwedischen Kronen überweisen könne. Das Ansinnen wurde abgelehnt. Auch George Bernard Shaw hatte 1926 zuerst Nein gesagt, die Ehrung aber doch angenommen.
Umstritten und überraschend:
Das sind die Entscheidungen der Schwedischen Akademie fast immer – selten aber so sehr wie 2016, als der Musiker Bob Dylan geehrt wurde. Nicht nur hielten viele seine Songtexte nicht für Literatur. Dylan machte es der Schwedischen Akademie auch denkbar schwer: Erst verriet er nicht, ob er den Preis annehmen werde, dann kam er nicht zur Preisverleihung, am Ende reichte er seine Vorlesung hauchdünn vor Ablauf der Frist als Tonaufnahme ein. Die damalige Jury-Chefin Sara Danius sprach vom „Dylan-Abenteuer“.
Aufmüpfig: Kritiker bezeichneten den italienischen Dramatiker Dario Fo 1997 als unterhaltsamen Gaukler. Fo antwortete mit seiner Vorlesung, die er unter dem Titel „Gegen freimütige Gaukler“zu einer umjubelten Show machte.