Kaum ein Gipfel ohne Kreuz
Auf vielen Bergen der Region stehen sie seit Hunderten von Jahren – Sind sie Kultur, Tradition, religiöses Symbol?
KEMPTEN - Meist markiert es den höchsten Punkt eines Berges: das Gipfelkreuz. Hunderte gibt es davon in den Allgäuer Bergen. Kleine, große, aus Metall wie beispielsweise auf dem Hochgrat bei Oberstaufen oder aus Holz. Und oft ist am Gipfelkreuz auch noch eine Schatulle angebracht, in der sich das Gipfelbuch befindet. Nicht erst seit dem neu aufgeloderten Kruzifix-Streit im Freistaat gibt es auch vereinzelte kritische Stimmen zu Gipfelkreuzen. Sind sie als christliche Symbole zu verstehen oder gehören sie zur Tradition und Kultur – oder beides?
In den Allgäuer Alpen stehen auf allen bekannteren Bergen Gipfelkreuze. Selbst auf kleinen Zacken und Spitzen haben Alpinisten sie aufgestellt: beispielsweise auf der Siplinger Nadel, die nur für Kletterer zugänglich ist. Wer da hinauf will, muss mindestens den oberen vierten Schwierigkeitsgrad beherrschen.
Kirchliche Gruppierungen, alpine Vereine, Bergretter oder Gemeinden und Tourismusorganisationen sind es häufig, die Patenschaften für Gipfelkreuze übernommen haben. Und für die allermeisten Wanderer und Bergsteiger gehört ein Kreuz wie selbstverständlich auf den Berg.
Mit Blitzableitern
Erste Kreuze wurden seit Ende des 13. Jahrhunderts auf Pässen und Anhöhen im Alpenraum aufgestellt. Ab dem 16. Jahrhundert kamen immer mehr hinzu und mit dem aufkommenden Alpinismus im 19. Jahrhundert wurden im Zuge der Vermessung vieler Gipfel auf zahlreichen Bergen Kreuze angebracht. Selbst
auf hohe Alpengipfel schleppten die Menschen Kreuze, versahen sie mit Blitzableitern und befestigten an ihnen Messinstrumente wie beispielsweise Barometer.
In den Allgäuer Alpen – und nicht nur dort – ist seit einigen Jahren ein neuer Trend zu beobachten: Gipfelkreuze werden mit bunten, buddhistischen Gebetsfähnchen geschmückt, die im Wind flattern. Zwei Kulturen, zwei Religionen sind gleichsam am Berg vereint. Oft haben
Trekker die bunten Wimpel aus Nepal mitgebracht. In Nepal haben Menschen auf vielen Passhöhen und Gipfeln Gebetsfähnchen aufgehangen. Sogar auf dem Mount Everest müssen Bergsteiger manchmal aufpassen, dass sie sich in dem Gewirr aus Schnüren und Fähnchen nicht mit ihren Steigeisen verheddern.
„Fast ein terroristischer Akt“
Für Schlagzeilen sorgte 2016 ein Unbekannter, der in den oberbayerischen
Alpen mehrer Gipfelkreuze umsägte. Diese Sachbeschädigungen empörten. Und sie führten auch zu einer Diskussion über den Sinn und die Bedeutung von Gipfelkreuzen.
Das Kreuz, sagte Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner, sei „das christliche Symbol schlechthin“. Seiner Meinung nach gehöre es aber nicht auf einen Gipfel. Man solle, so der Südtiroler, „die Berge nicht zu religiösen Zwecken möblieren“. Aber: Bestehende Gipfelkreuze sollten schon aus historischen Gründen stehen bleiben, sagte Messner. Und das Umhacken eines Gipfelkreuzes sei „fast ein terroristischer Akt“.
Jahre zuvor hatte sich die Freidenker-Vereinigung in der Schweiz schon zu Wort gemeldet: Dort sollten keine neuen Gipfelkreuze mehr aufgestellt werden, forderte der Verein 2010. Da Berge öffentlicher Raum seien, sollten sie auch „frei von religiösen Symbolen“sein.